„Moderne Gedenkkultur“ im Kreis Düren: Die Entstellung des Gedenkens am Volkstrauertag (Veröffentlicht am 21.04.2024)


I.   Der Kreis Düren und die „Modernisierung“ des Gedenkens an Krieg und Kriegsopfer

Der Kreis Düren unter seinem Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) hat sich seit einiger Zeit der Aufgabe verschrieben, die dortige „Gedenkkultur“ zu „modernisieren“, wofür man sich vor allem die großen Soldatenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack als Betätigungsfeld ausgewählt hat. Dieses Ansinnen wirft von vornherein die Frage auf, ob es wirklich die Aufgabe eines Landkreises als Organisationseinheit eines in religiösen und weltanschaulichen Fragen zwingend zur Neutralität verpflichteten Staates ist, auf das von seinen Bürgerinnen und Bürgern gepflegte Totengedenken Einfluss zu nehmen, Gedenkformen als „modern“ oder „unmodern“ zu bewerten und so in gewünschte und unerwünschte zu unterteilen. Zumindest beim Kreis Düren haben derartige rechtsstaatliche „Feinheiten“ jedoch aller bisherigen Erfahrung nach keine besondere Relevanz.

Für die angeblich fachkundige Unterstützung seiner Modernisierungsbestrebungen hat man im Juni 2020 sogar eigens einen sog. „Beauftragen für die Betreuung der Kriegsgräberstätten Vossenack und Hürtgen als Orten einer demokratischen Erinnerungskultur“ eingesetzt, der entsprechende „Impulse“ setzen und den Kreis „beraten“ soll; dem Vernehmen nach „ehrenamtlich“. Dass die Kreisverwaltung Antworten auf bestimmte Fragen zu dieser Position und den Umständen ihrer Vergabe bislang strikt verweigert, sei nur am Rande angemerkt.

 

II.   Maßnahmen zur „Modernisierung“ der „Gedenkkultur“

Was man im Kreis Düren unter einer „modernen Gedenkkultur“ versteht, wird allerdings zunehmend deutlich. Mit dem Schwinden der Kriegsgeneration und dem Altern ihrer Kinder, die Krieg und seine Folgen noch leidvoll am eigenen Leib erfahren haben, soll offenbar auch das Gedenken an die Kriegsopfer grundsätzlich umgeformt und in die politisch nunmehr gewünschten Bahnen gelenkt werden.

Hierzu gehört zunächst die Tilgung der Erinnerung an lokale Protagonisten der Kriegsgräberfürsorge aus der Nachkriegszeit wie Julius Erasmus, dem sog. „Totengräber von Vossenack“. Die Informationstafel über ihn und seine Tätigkeit – die inhaltlich zweifelsfrei überarbeitungsbedürftig war – wurde im Sommer 2021 vom Soldatenfriedhof in Vossenack entfernt. Im September 2022 folgte dann die Entfernung des Gedenksteins für ihn, den Landrat Spelthahn im Jahr 2005 noch selbst eingeweiht hatte; die zugehörige Erinnerungstafel wurde auf dem Friedhof versetzt.

Ebenfalls im September 2022 verbot der Kreis Düren die Ablage von „Zeichen der Trauerbekundung“, z. B. von Blumen und Kerzen, auf den Soldatenfriedhöfen in Hürtgen und Vossenack und machte diese von der vorherigen Beantragung einer Ausnahmegenehmigung abhängig. Im März 2023 wurde dann die Ablage von Fotos der Gefallenen in Uniform auf beiden Soldatenfriedhöfen verboten. Möglicherweise aufgrund des zunehmenden Öffentlichwerdens des sog. „Blumenverbots“ und der hiergegen angestrengten gerichtlichen Maßnahmen nahm der Kreis Düren zuletzt zumindest Angehörige der Bestatteten und mit ihnen „Bekannte“ von diesem Verbot aus.

 

III.   Das Gedenken des Kreises Düren zum Volkstrauertag 2022 auf den Soldatenfriedhöfen in Hürtgen und Vossenack

Dass das Ende der „Modernisierung“ mit diesen Maßnahmen noch lange nicht erreicht ist, sondern dieses auch vor Institutionen wie dem Volkstrauertag nicht Halt machen würde, war bereits im Jahr 2022 zu ahnen.

 

1.   Der Volkstrauertag

Der Volkstrauertag ist ein staatlicher Gedenktag für die Opfer von Gewalt und Krieg aller Nationen, der in der BR Deutschland seit 1952 zwei Sonntage vor dem ersten Advent begangen wird. Er ist ein sog. „stiller Feiertag“, an dem insbesondere der Unterhaltung dienende Veranstaltungen von 5 Uhr bis 18 Uhr untersagt sind (vgl. § 6 Abs. 1 des Feiertagsgesetzes NW). Während die zentrale Gedenkstunde im Deutschen Bundestag stattfindet, erfolgen auf kommunaler Ebene vielfach Gedenkstunden und Kranzniederlegungen.

 

2.   Der Volkstrauertag im Kreis Düren

So auch im Kreis Düren, wo am Volkstrauertag üblicherweise Landrat Spelthahn, sein Stellvertreter, der Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald sowie ein Vertreter der Bundeswehr gemeinsam die Soldatenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack besuchten und dort Kränze niederlegten. Zuvor lud der Kreisverband Düren des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. („Volksbund“), dessen Vorsitzender ebenfalls Landrat Spelthahn ist, die Bürgerinnen und Bürger traditionell im Anschluss an einen Gottesdienst zu einer Gedenkfeier ein, die abwechselnd auf den Anlagen in Hürtgen und Vossenack abgehalten wurde.

 

a)   2020 und 2021

Diese Feier fiel in den Jahren 2020 und 2021 wegen des „Corona“-Virus aus und wurde durch eine „Kranzniederlegung in aller Stille“ seitens der vorgenannten staatlichen Repräsentanten am Volkstrauertag ersetzt. Vor der Kranzniederlegung 2020 ließ Landrat Spelthahn über seine Pressestelle mitteilen:

„So schmerzlich es ist, in diesem Jahr auf das gemeinsame Innehalten und Gedenken zu verzichten: Angesichts der Infektionszahlen ist das Risiko einer Begegnung so vieler Menschen keine verantwortbare Option.“

 

Auch 2021 erfolgte eine „Kranzniederlegung in stillem Rahmen“ ohne öffentliche Gedenkfeier, wozu Landrat Spelthahn die Bevölkerung mittels Pressemitteilung diesmal wissen ließ:

„In einem kleinen Kreis und in Würde gedenken wir heute ein weiteres Mal still an die Opfer von Krieg, Gewalt und Vertreibung. Ich hoffe sehr, dass wir dies im nächstem Jahr wieder in größerem Rahmen können.“

 

b)   2022

In Abkehr von der bis dahin geltenden Übung, die Gedenkveranstaltung und die Kranzniederlegung auf den Soldatenfriedhöfen am Volkstrauertag im Anschluss an einen Gottesdienst vorzunehmen, wurde beides im Jahr 2022 erstmals auf Freitag Nachmittag, 16 Uhr, vorverlegt und von der Durchführung eines Gottesdienstes abgekoppelt. Und zwar nicht auf irgendeinen Freitag Nachmittag, sondern auf den des 11.11., an dem bekanntlich im Rheinland, in dem sich der Kreis Düren befindet, vielfach feucht-fröhlich die neue Session des Karnevals gestartet wird.

Der Kreis Düren teilte zu dieser Veranstaltung mit:

„Die Gedenkveranstaltung, die gemeinsam vom Kreisverband Düren des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge sowie dem Bürgermeister und den Ortsverbänden ausgerichtet wird, beginnt um 16 Uhr in Hürtgen (Höhenstraße 114), anschließend wird die Kriegsgräberstätte in Vossenack besucht. Die Kranzniederlegung findet in diesem Jahr kurz vor dem Volkstrauertag statt, der am 13. November begangen wird. So soll eine Terminüberschneidung vermieden und denjenigen eine Teilnahme ermöglicht werden, die am Volkstrauertag ebenfalls bei Gedenkveranstaltungen der Ortsvereine und in den Kommunen anwesend sein möchten.“

 

Auf der Veranstaltung selbst trat eine Schülerin des Franziskus-Gymnasiums in Vossenack mit einem Vortrag in Erscheinung, der in der Pressemitteilung des Kreises Düren zu der Veranstaltung besondere Erwähnung fand. Die dort zitierten Inhalte und Wortwahl des Vortags ähneln in merkwürdiger Weise den dort mitgeteilten Redeinhalten des Landrats.

Wenig überraschend hob schon am Folgetag – Samstag, 12.11.2022 – die Aachener Zeitung, die schon in der Vergangenheit durch eine der Dürener Kreisverwaltung und ihrem Ansinnen der „Modernisierung der Gedenkkultur“ ungewöhnlich unkritisch und gewogen anmutende, dabei faktisch und fachlich nicht immer überzeugende Berichterstattung aufgefallen war, in einem Artikel mit dem Titel „Volkstrauertag – aber kaum jemand geht hin“ fast pflichtschuldig zum Abgesang auf den Volkstrauertag an. Auch hier wurde die vorgenannte „Rede einer Schülerin“ besonders betont. Ergänzend veröffentlichte die Autorin des Beitrags, Sarah Berners, einen Kommentar, der den sie mit der Forderung überschrieb „Ein neues Konzept muss her, sonst wird der Volkstrauertag verschwinden“. Darin merkte sie an:

„Für eine zentrale Gedenkfeier des Kreises waren am Freitag nur wenige Menschen vor Ort. Dabei wurde sie extra auf den Freitag gelegt, damit sie nicht zeitgleich mit den Gedenkfeiern in den Dörfern am Sonntag stattfindet.

(…)

Der Volkstrauertag vermag junge Menschen in seiner jetzigen Form nicht zu erreichen – und mit Blick auf die Kranzniederlegung in manch einem Dorf und die Gedenkfeier des Kreises Düren auch die älteren nicht mehr. Das Thema ist aber zu wichtig, um das Einschlafen der Gedenkveranstaltung zu einfach hinzunehmen. Der Volkstrauertag braucht ein neues Konzept, vielleicht eine neue Form, er muss Schulen einbinden, Vereine, Jugendgruppen. Die besten Botschaften – und bei der zentralen Gedenkfeier des Kreises waren zwei zum Nachdenken anregende Reden zu hören – bewegen leider zu wenig, wenn kaum jemand sie hört. Es wäre schön, wenn diese Impulse weitergetragen würden. Wir müssen anfangen zu überlegen, wie das gelingen kann.“

 

Damit war in bemerkenswerter Weise die Bühne für das sprichwörtliche Schauspiel bereitet, dass der Kreis Düren und der Kreisverband Düren des Volksbundes zum nächsten Volkstrauertag im November 2023 auf dem Soldatenfriedhof in Vossenack abhielten. Hierzu folgt ein separater Artikel.

Interessanterweise wurde die Verlegung der Gedenkveranstaltung durch die lokale Bevölkerung offenbar keineswegs positiv aufgenommen. So berichtete die Aachener Zeitung am 18.11.2022 unter dem Titel „Vorgezogener Volkstrauertag sorgt in Hürtgen für Unmut“, „mit der Veränderung einer langjährigen Tradition“ habe „der Kreis Düren Bürgerinnen und Bürger aus Hürtgen irritiert“, dieses hätten „daraufhin ihr eigenes Ding“ gemacht.

 

IV.   Bewertung

Die vorstehend geschilderten Abläufe werfen gewisse Fragen auf:

 

Was war der wirkliche Grund für die Vorverlegung der Gedenkveranstaltung vom Volkstrauertag auf den Freitag Nachmittag davor?

Weshalb wollte man durch diese ungewöhnliche Terminierung nach der jahrzehntelangen anderweitigen Praxis plötzlich angebliche „Terminüberschneidungen“ am Volkstrauertag vermeiden, obwohl die Gedenkfeier des Kreises und des Volksbund-Kreisverbandes der insoweit maßgebliche Termin sein dürfte?

Seit wann erfolgt staatliches Gedenken anlässlich eines zentralen Gedenktages wie dee Volkstrauertages nicht an dem gesetzlich entsprechend bestimmten Tag, sondern wird – zur angeblichen Vermeidung von „Terminüberschneidungen“! – um zwei Tage vorverlegt?

Spricht es nicht für eine besondere Geist- oder Taktlosigkeit der Protagonisten, die Gedenkveranstaltung für die Opfer der Kriege nicht nur vorzuverlegen, sondern hierfür mit dem 11.11. gerade denjenigen Tag zu wählen, an dem auch die neue Session des rheinischen Karnevals beginnt?

Ist es nicht ohne weiteres absehbar, dass bei einer Durchführung der Gedenkveranstaltung am Nachmittag eines Werktags, an dem ein Großteil der Bevölkerung üblicherweise schon berufsbedingt verhindert ist, nicht mit Teilnehmerzahlen in ähnlicher Größenordnung zu rechnen, wie dies an einem Sonntag im Anschluss an einen Gottesdienst der Fall ist, dies insbesondere dann, wenn es sich – wie vorliegend – um den 11.11. und den Beginn der neuen Karnevalssession handelt, den zahlreiche Menschen feiern?

Ist es vor diesem Hintergrund seriös, die Veranstaltung entsprechend zu verlegen und nachfolgend geringere Teilnehmerzahlen aus der Bevölkerung zu beklagen?

Oder handelt es sich bei der Verlegung vielleicht um eine von den Protagonisten der Kreisverwaltung sehr bewusst kalkulierte Maßnahme, um das traditionell überkommene Totengedenken zum Volkstrauertag angesichts der an einem Wochentag, insbesondere am 11.11., mit nahezu absoluter Sicherheit absehbar deutlich geringeren Teilnehmerzahlen als für die Öffentlichkeit entbehrlich zu attackieren („kaum jemand geht hin“) und es im Folgejahr durch ein geschmackloses „Tanztheater“ unmittelbar auf dem Gräberfeld des Soldatenfriedhofes Vossenack über den Gräbern der dort beigesetzten Kriegsopfer ersetzen zu können, vom Kreis Düren zufällig als „neu konzipierte, modern gehaltene Erinnerungsveranstaltung“ bezeichnet, wie von der Aachener Zeitung in ihrem Artikel vom 12.11.2023 gefordert?

 

Entscheiden Sie selbst.

 

(Titelfoto: „Sarkophag“ auf dem Soldatenfriedhof Vossenack,
Oktober 2023)

 

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