Feldpostbriefe: Briefe eines 16-jährigen Angehörigen des deutschen „Volkssturms“ an seine Familie im Jahr 1945 (Veröffentlicht am 14.01.2024)


Feldpostbriefe und ihre Bedeutung für die heutige Zeit

Bei den Recherchen nach Julius Erasmus kommt man zwangsläufig mit Feldpostbriefen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Berührung. Seien es Mitteilungen über den Tod eines Soldaten, geschrieben von dessen Vorgesetztem an seine Angehörigen, die später Herrn Erasmus als Anhaltspunkt für eine Grabsuche übermittelt wurden oder andere Schriftwechsel zwischen im Krieg befindlichen Soldaten und ihren Familien zu Hause. Ich befasse mich seither auch näher mit Feldpostbriefen aus der damaligen Zeit.

Feldpostbriefe sind wertvolle Zeitdokumente, die gerade in Zeiten wie den gegenwärtigen ihre zeitlose Botschaft entfalten und einen anschaulichen Eindruck darüber vermitteln, was Krieg für alle Beteiligten bedeutet. Sie sind ein wertvolles Werkzeug, um schon den Anfängen eines erneuten Strebens nach Krieg zu wehren und vielleicht dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht einmal mehr und mit abermals grausigen Folgen für die Menschheit wiederholt. Derzeit wird wieder einmal mit aller Macht für den Krieg, Waffen und das Töten von Menschen in großem Maßstab getrommelt, obschon man jahrzehntelang die vage Hoffnung haben konnte, dass die Menschheit aus den schmerzhaften Erfahrungen insbesondere zweier Weltkriege ihre Lektion endlich einigermaßen gelernt hat. Es scheint leider abermals nicht der Fall zu sein.

Vor diesem Hintergrund sollen hier in der Rubrik „Feldpostbriefe“ von Zeit zu Zeit entsprechende Briefe oder Briefauszüge aus unterschiedlichen Quellen veröffentlicht werden, um mit Nachdruck daran zu erinnern, was Krieg für die Menschen und die Menschheit bedeutet. Um einen Denkanstoß zu liefern und in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dies einen Unterschied machen möge.

 

Die Auswirkungen politischer Indoktrinierung auf Kinder und Jugendliche

Zu den erschütterndsten Belegen dessen, was politische Propaganda vermag, gehören Feldpostbriefe junger deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, wie sie auf diesem Blog bereits veröffentlicht wurden (vgl. z. B. die Briefe von Franz Krügner oder Adelbert Rühle). Von Kindesbeinen an der „Erziehung“ im Sinne der herrschenden Ideologie ausgesetzt, hatten sie diese so tief verinnerlicht, dass sie es oft kaum abwarten konnten, Soldat werden und ihren Beitrag zur Umsetzung der ihnen als alternativlos vermittelten Ziele leisten zu dürfen. Selbst bis kurz vor Kriegsende und ungeachtet der sich offensichtlich abzeichnenden Niederlage hielten sie mitunter fanatisch an den ihnen Zeit ihres Lebens vermittelten Parolen fest, oft bis in den Tod.

 

Die Feldpostbriefe des Georg Spieler

Ein derartiges Beispiel sind die Briefe, den der gerade 16-jährige Georg Spieler als Angehöriger des sog. „Deutschen Volkssturms“ im Januar 1945 an seine Eltern schrieb. Die Aufstellung des „Deutschen Volkssturms“ ging auf einen Erlass Hitlers vom 25.09.1944 zurück, mit dem – zur „Verstärkung der Wehrmacht“ – alle 16 bis 60-jährigen „waffenfähigen Männer“ dazu verpflichtet wurden, „den Heimatboden mit allen Waffen und [geeignet erscheinenden] Mitteln [zu] verteidigen“. Während die meisten Angehörigen dieser auch als „letztes Aufgebot“ bezeichneten Formation keineswegs „waffenfähig“ waren, hatten gerade ihre jugendlichen Mitglieder häufig die ihnen von Klein auf eingetrichterte politische Devise des „fanatischen Kampfes“ tief verinnerlich. Viele ließen so sinnlos ihr junges Leben, bevor es richtig begonnen hatte.

Georg Spieler war einer von ihnen. Die Ausführungen in seinen Briefen sprechen für sich:

 

Brief an seine Eltern (Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen II – Briefe aus dem Krieg, S. 180 ff.):

„Breslau, den 15.1.1945

Liebe Eltern!

Euren lieben Brief habe ich mit vielem herzlichen Dank erhalten.

Liebe Mama, es wird jetzt kaum noch möglich sein, dass Christa [Freundin] mich noch einmal besuchen kommt, denn sie wird nämlich in Kürze an der Banndienststelle angestellt. In Kürze werde [ich] ja für eine Zeit nach Wiesegrade kommandiert, um dort FeldscherIehrgänge [Lehrgänge für Sanitäter] zu führen, dann kommt meine Entlassung und meine Einberufung zum R.A.D. [Reichsarbeitsdienst]. Also komm ich nun, bis ich 29 Jahre alt bin, nur auf Besuch. Es hört sich vielleicht etwas hart an, aber das kommende Leben wird daher umso leichter für mich sein. Gelobt sei was hart macht; wir sind, d. h., ich bin ein Spielersohn, von den Spielers hat sich bisher jeder so gut und schlecht durchgeschlagen, auch wenn es manchmal nicht leichtgefallen ist. Ich bin mir voll bewusst, das Leben ist ein Kampf, ich habe auch schon davon ein wenig gemerkt, aber dies war vielleicht immer noch ein Kinderspiel gegen das, was ich noch vor mir habe.

Bisher hat Gott nur den Starken im Kampf beigestanden, dagegen ist er unerbittlich gegen die Menschen, die unter den Schicksalsschlägen zusammenbrechen. Da heißt es Zähne zusammen und hoch den Kopf, dann ist es bestimmt nicht umsonst. Vor allem eins: Ich werde immer treu und wahr sein, das verspreche ich Euch, worauf Ihr Euch in jeglicher Beziehung auf mich verlassen könnt. Ich habe es gelernt, wie hässlich es ist, wenn ein Mensch unehrlich ist. Solche Kerle werden jetzt aus unserer Gemeinschaft unerbittlich herausgestoßen, was auf jeden Fall seine brutale Richtigkeit hat. Auf Euren Jungen könnt Ihr Euch immer verlassen. Ich bin stolz, in unserer Kaserne einer Verantwortung Träger zu sein, die mancher meiner Kameraden nicht imstande wäre. Dies verdanke ich nur, weil ich an Gott glaube und hoffe. In diesem Sinne will ich schließen.

Die herzlichsten Grüße und Küsse und alles Gute Euer Sohn

Georg“

 

Brief an seine Mutter (Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen II – Briefe aus dem Krieg, S. 182):

„Breslau, den 25.1.1945

 Liebe Mama!

Eure liebe Karte habe ich dankend erhalten. Ich bin überglücklich, dass Ihr in Sicherheit seid. Der Kampf um unsere Heimaterde nimmt immer größere Formen an. Wir werden alles daran setzen, um den Bolschewisten aus dem Lande zu werfen. Du brauchst keine Angst haben, mir passiert nichts.

Hannchen [Schwester], bleibe hübsch artig.

Es grüßt und küsst Euch alle

Euer Georg

 

Gott mit uns!

Auch herzliche Grüße an Tante Martha und Kinder“

 

Brief an Mutter und Schwester (Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen II – Briefe aus dem Krieg, S. 183 f.):

„Breslau, den 4.2.1945

Liebe Mama und Hannchen!

Endlich komme ich dazu, Euch ein paar Zeilen zu senden. Mit geht es gut und ich hoffe von Euch dasselbe. Die Zeit hat es mir nicht eher erlaubt, an Euch ein Lebenszeichen abzugeben. Hoffentlich habt Ihr die letzten beiden Karten erhalten? Seid Ihr alle gesund und munter! Hoffentlich braucht Ihr keine zweite Evakuierung mehr mitmachen. Es wird schon alles wieder glattgehen. Angst braucht Ihr keine zu haben. Wir werden schon wieder den Russen im richtigen Augenblick hinauswerfen. Um mich persönlich braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, mir passiert schon nichts. Habt Ihr schon etwas von Papa gehört, er hat die Kämpfe um Kempen doch bestimmt mitgemacht, vielleicht haben wir das Glück, uns einmal zu treffen. Ich meine, es ist doch alles schon da gewesen.

 

Liebes Hannchen:

Hierdurch möchte ich Dir die herzlichsten Grüße zu Deinem Geburtstage übermitteln. Ich wünsche Dir alles Gute und sei der Mama immer ein Sonnenschein und bleibe hübsch artig, sieh’ an, Du bist schon ein großes Mädel, schon 8 Jahre, das ist immerhin schon ein hohes Alter, aber eins vergesse nie, den lieben Gott und das Beten.

 

Liebe Mama!

Mache Dir um Gotteswillen keine Sorgen um mich, es ist in Wirklich[keit] alles halb so gefährlich. Die Hauptsache ist, dass Ihr in Sicherheit seid, wenn mir ein Bolschewist in die Hände fällt, aus dem mache ich ein Garaus. Rache für Gr. Wartenberg und Oels.

 

Liebe Tante Martha und Kinder!

Wie geht es Euch noch so, wie habt Ihr Euch in Eure Heimat eingelebt. Auf jeden Fall könnt Ihr bald wieder in die Heimat zurück. Also, lebt mir alle wohl. Christa [eine Freundin] befindet sich in Berlin. Für heut will ich schließen.

Es grüßt und küsst Euch

Euer Georg“

 

 

Georg Spieler, geboren am 8. November 1928 in Groß Wartenberg/Schlesien, wurde am 18. April 1945 mit Granatsplittern in Rücken, Lunge, rechtem Unterschenkel und Oberarm ins Breslauer Festungslazarett eingeliefert. Er verstarb dort am Abend des 26. April 1945 an den Folgen seiner Verletzungen, die Nachricht seines Todes erreichte seine Eltern erst im Juni 1947.

Georg Spieler ruht auf dem Soldatenfriedhof in Nadolice Wielkie/Polen.

 

(Titelfoto: Gedenkstein auf dem deutschen Soldatenfriedhof
in Sandweiler/Luxemburg, Juli 2023)

 

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