Menschlichkeit im Krieg: Der US-Gefechtssanitäter John Warren Smedberg im Zweiten Weltkrieg (Veröffentlicht am 18.01.2024)

Genauso sicher wie der Krieg Tod und Leid gebärt, bewirkt er auch auf allen Seiten das Hervortreten von Menschen, die sich ihre Menschlichkeit bewahrt haben und die anderen in Not befindlichen Menschen selbst dann Hilfe und Beistand leisten, wenn diese zum „Feind“ erklärt wurden, dessen Unterstützung mit Gefahr für das eigene Leben verbunden ist.

 

I. Der „Waffenstillstand an der Kallbrücke“ im November 1944

Schon aufgrund ihres Berufes sind Ärzte und medizinisches Personal zur Hilfeleistung berufen und zwar unabhängig davon, welcher Kriegspartei sie und der hilfsbedürftige Mensch angehören. So liest man immer wieder von Fällen, in denen Ärzte, z. T. in parteiübergreifender Kooperation, auch Kampfpausen durchsetzten, damit den auf dem Schlachtfeld liegenden Verwundeten geholfen werden kann. Einer der bekanntesten Fälle ereignete sich in der Kämpfe im Hürtgenwald mit dem sog. „Waffenstillstand an der Kallbrücke“ während der Allerseelen-Schlacht Anfang November 1944, als unter Mitwirkung des deutschen Arztes Dr. Günter Stüttgen ein Waffenstillstand erreicht wurde, damit zahlreiche Verwundete beider Seiten versorgt werden konnte. Der Vorgang verdient eine eigene Betrachtung und soll in diesem Artikel nicht weiter vertieft werden.

 

II. Die Gefechtssanitäter

Erste Hilfe auf dem Schlachtfeld leisten im Regelfall für die Behandlung unter Kampfbedingungen speziell ausgebildete Sanitäter, hier als „Gefechtssanitäter“ bezeichnet, die in unterschiedlicher Weise in die kämpfenden Verbände eingebunden bzw. diesen zugeordnet sind. Ihre Aufgabe ist es, sich noch im Feld um Verwundete zu kümmern und deren Verletzungen zu versorgen. Gerade im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg finden sich immer wieder Berichte über Gefechtssanitäter, die Verwundeten mitunter ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit auch unter schwierigsten Bedingungen Hilfe leisteten.

Dabei haben sie sich oftmals auch nicht darauf beschränkt, den Hilfsbedürftigen der eigenen Seite beizustehen, sondern haben sich auch um Verwundete des Feindes bemüht und diese versorgt.

Dennoch sind die Namen und Taten dieser Sanitäter, die sich auch unter schwierigsten Bedingungen ihre Menschlichkeit bewahrten, vielfach kaum bekannt. Es gibt auf US-Seite einige Bücher, in denen ehemalige Gefechtssanitäter ihre Erfahrungen schildern.

 

III. Der US-Gefechtssanitäter John Warren Smedberg

In einem dieser Bücher, dem Titel „Medic! – A WWII Combat Medic Remembers“ von Robert L. Smith aus dem Jahr 2001, befindet sich ein ausführlicher Bericht über einen dieser besonderen Menschen: Den mit dem 112. Regiment der 28. US-Infanteriedivision u. a. in der Schlacht im Hürtgenwald eingesetzten Gefechtssanitäter John Warren Smedberg.

 

 

Smith, selbst im Zweiten Weltkrieg als Gefechtssanitäter mit der 28. US-Infanteriedivision im Einsatz, beschreibt Smedberg wie folgt („Medic!“, S. 67 ff.; Übersetzung aus der englischen Sprache):

Die Schlacht im Hürtgenwald im November 1944 wird von Historikern selten als fragwürdige Aktion erwähnt. Viele tapfere Männer lieferten sich über einen Zeitraum von neun Tagen eine ununterbrochene Reihe heldenhafter Kämpfe. Ich habe viele Menschen gekannt, die unter besonderen Umständen heldenhafte Taten vollbracht haben, aber nur zwei ragen als Helden heraus, die ihre Überzeugungen täglich gelebt und praktiziert haben, egal wie schwierig die Zeiten waren. Der eine ist ein Waliser, ein Rechtsanwalt und emeritierter Professor für Kriminologie an der London School of Economics. Er war mein Mentor während eines einjährigen Studiums dort und wurde später mein Freund. Er hat nie an seinem Glauben an die Unantastbarkeit des Lebens gerüttelt, selbst wenn dies bedeutete, sich der Welle des Patriotismus zu widersetzen, die Großbritannien im Zweiten Weltkrieg überrollte. Als lebenslanger Pazifist und Kriegsverweigerer aus Gewissensgründen sah er sich dem Spott und der Verachtung von Freunden und Kollegen ausgesetzt. Statt in der Armee zu dienen, meldete er sich freiwillig bei einer Quäker-Hilfsorganisation, fuhr einen Krankenwagen für das britische Rote Kreuz und half den Vertriebenen unter anderem in Belsen in Deutschland.

Mein zweiter Held ist John W. Smedberg, ein Adventist des Siebenten Tages, der mit mir im 112. Regiment in der Sanitätseinheit diente und im Hürtgenwald kämpfte. Ich folgte ihm immer beim Appell. Wir überquerten gemeinsam den Atlantik und wurden schließlich der 28. Division als Ersatz zugeteilt. Groß und gutaussehend, hätte John von Central Casting geschickt werden können, um einen kräftigen jungen Mann aus dem Farmland von Minnesota darzustellen. Er war sanftmütig und freundlich, hielt sich nicht aufdringlich an seine Religion und praktizierte regelmäßig das, woran er glaubte, egal wo er war. Er wurde häufig bestraft, weil er sich weigerte, an Samstagen unwichtige Arbeiten zu verrichten, weil viele Offiziere und Unteroffiziere kein Verständnis für seinen Andachtstag aufbrachten und ihn nicht berücksichtigten.

Johns Heldentaten stehen im Verhältnis zu meiner Geschichte über die verpasste Schlacht. Vieles von dem, was ich berichte, stammt aus erster Hand von Männern meiner Einheit, die im November 1944 neun Tage lang im Hürtgenwald gekämpft haben. Einige Informationen stammen aus Militärarchiven. Nach allem, was man hört, war die Schlacht im Hürtgenwald für alle Beteiligten ein schreckliches Erlebnis.

Nach [den Kämpfen um] Wallendorf zog sich die 28. Infanteriedivision auf Verteidigungsstellungen entlang der luxemburgisch-deutschen Grenze zurück, um eine schwer angeschlagene Kampfeinheit wieder aufzubauen. Die Division blieb den größten Teil des Oktobers in Reserve und unternahm einige Erkundungsangriffe entlang der Siegfriedlinie. Gegen Ende des Monats erhielt sie den Befehl, in ein Gebiet vorzustoßen, das als Hürtgenwald bekannt war, ein düsteres Gebiet mit dichten Wäldern und tückischem hügeligem Gelände südöstlich von Aachen, Deutschland.

(…)

Die 28. Infanteriedivision griff am 2. November an und musste schnell feststellen, dass ihr Auftrag nicht erfüllt werden konnte. Bei den ersten Anzeichen eines Angriffs antworteten die Deutschen mit schwerem Mörser- und Artilleriefeuer, das die beiden angreifenden Bataillone des 112. Regiments sofort in die Enge trieb. In den folgenden sieben Tagen wurden die Dörfer Vossenack und Schmidt von beiden Kriegsparteien eingenommen und wieder zurückerobert. Die Positionen änderten sich von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag. Was eine amerikanische Linie war, wurde bald zu einer deutschen Linie und andersherum. Nachts infiltrierten Truppen beider Seiten die feindlichen Stellungen, so dass am Morgen niemand mehr genau wusste, wer wen umzingelt hatte. In Nahkämpfen wurde oft entschieden, wer welchen Boden wie lange und zu welchen Kosten halten konnte.

Smedberg war während des Kampfes in Höchstform; seine Hingabe an seine Arbeit ließ ihn die Gefahren, denen er ausgesetzt war, fast vergessen. Mutig und heldenhaft behandelte er Verwundete, war aber häufig von jeglicher medizinischer Unterstützung abgeschnitten und musste in Bunkern, ausgebrannten Gebäuden und Granatenlöchern seine eigene Versorgungsstation einrichten. Da er Deutsche und Amerikaner gleichermaßen behandelte, war er für viele Kämpfer die einzige verfügbare medizinische Versorgung. Nachts kroch er zurück auf das Schlachtfeld, um die Verwundeten zu behandeln und sie dann für den Abtransport zu sammeln oder ihre Rückkehr zu den eigenen Linien zu organisieren. Als seine eigenen Truppen überrannt oder besiegt wurden, blieb er zurück, um die Verwundeten zu behandeln. Er unterstützte die deutschen Sanitäter bei der Versorgung ihrer Verwundeten und bestand darauf, dass sie ihm bei den unseren halfen. Immer wieder kehrte er zurück, um amerikanische Verwundete weit hinter den feindlichen Linien zu retten. Er wurde für einen weiteren Silver Star für Heldentum empfohlen, nachdem die erste Empfehlung in Wallendorf ausgesprochen worden war. Ein zweites Mal wurde er aufgrund seiner Taten für eine Beförderung empfohlen. Er nahm die Auszeichnungen an, lehnte aber die Beförderung ab, da er dafür Arbeiten verrichten müsste, die an seinem Sabbat nicht erlaubt waren. Er konnte sich zwar mit gutem Gewissen jederzeit um die Verwundeten kümmern, aber er konnte sich nicht in die Lage versetzen, anderen zu befehlen, Dinge zu tun, die mit seinen religiösen Überzeugungen nicht vereinbar waren. Wir alle respektierten die Aufrichtigkeit seines Glaubens, insbesondere die Dutzenden von Männern, die er während dieser langen Woche im Hürtgenwald gerettet hatte.“

 

John Warren Smedberg wurde am 16.09.1921 in College Place, Washington/USA geboren. Er diente vom 16.08.1943 bis zum 20.10.1945 als Gefechtssanitäter im 112. Regiment der 28. US-Infanteriedivision und wurde mit dem Silver Star, dem Bronze Star und dem Purple Heart ausgezeichnet. Er starb am 06.03.2008 in Bemidji, Beltrami County, und wurde auf dem Friedhof von Guthrie, Hubbard Country, Minnesota/USA bestattet.

 

(Titelfoto: Gedenkstätte in der Nähe des im Januar 1945
schwer umkämpften ehemaligen Forsthauses Raffelsbrand, Oktober 2023)

 

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