Feldpostbriefe: Brief eines deutschen Soldaten aus Russland, 12. Juli 1942 (Veröffentlicht am 13.09.2024)
Feldpostbriefe und ihre Bedeutung für die heutige Zeit
Bei den Recherchen nach Julius Erasmus kommt man zwangsläufig mit Feldpostbriefen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Berührung. Seien es Mitteilungen über den Tod eines Soldaten, geschrieben von dessen Vorgesetztem an seine Angehörigen, die später Herrn Erasmus als Anhaltspunkt für eine Grabsuche übermittelt wurden oder andere Schriftwechsel zwischen im Krieg befindlichen Soldaten und ihren Familien zu Hause. Ich befasse mich seither auch näher mit Feldpostbriefen aus der damaligen Zeit.
Feldpostbriefe sind wertvolle Zeitdokumente, die gerade in Zeiten wie den gegenwärtigen ihre zeitlose Botschaft entfalten und einen anschaulichen Eindruck darüber vermitteln, was Krieg für alle Beteiligten bedeutet. Sie sind ein wertvolles Werkzeug, um schon den Anfängen eines erneuten Strebens nach Krieg zu wehren und vielleicht dazu beizutragen, dass sich Geschichte nicht einmal mehr und mit abermals grausigen Folgen für die Menschheit wiederholt. Derzeit wird wieder einmal mit aller Macht für den Krieg, Waffen und das Töten von Menschen in großem Maßstab getrommelt, obschon man jahrzehntelang die vage Hoffnung haben konnte, dass die Menschheit aus den schmerzhaften Erfahrungen insbesondere zweier Weltkriege ihre Lektion endlich einigermaßen gelernt hat. Es scheint leider abermals nicht der Fall zu sein.
Vor diesem Hintergrund sollen hier in der Rubrik „Feldpostbriefe“ von Zeit zu Zeit entsprechende Briefe oder Briefauszüge aus unterschiedlichen Quellen veröffentlicht werden, um mit Nachdruck daran zu erinnern, was Krieg für die Menschen und die Menschheit bedeutet. Um einen Denkanstoß zu liefern und in der unerschütterlichen Hoffnung, dass dies einen Unterschied machen möge.
Feldpostbrief von Friedrich Reinhold Haag aus Russland vom 12.07.1942 (Quelle: Bähr/Meyer/Orthbandt, Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939 – 1945, S. 211 f.)):
„Vor Sewastopol, 12. Juli 1942
Ich habe neu erfahren, wie schwer es ist, eine Kompanie in das Feuer zu führen und Menschen zu opfern, von denen man kaum den einen oder anderen kennt. Dann fallen sie neben einem um, und einer schreit vielleicht: »Herr Leutnant, Sie müssen nach Hause schreiben« — und man weiß nicht einmal, wie er heißt, sondern vielleicht nur, dass es der Richtschütze von diesem oder jenem Gewehr ist. Zur Zeit versuche ich, das alles innerlich zu verarbeiten, und oft ist es sehr schwer.
Dabei sind es nicht jene Bilder, die man bei diesem grausigen Gemetzel fast gewohnt wird: Verstümmelte, Verblutende, Röchelnde, lautlos in sich Zusammensinkende, sondern oft Bilder am Rande, die mich nicht mehr loslassen.
So sah ich folgendes: ein schöner weißer Schimmel steht grasend am Straßengraben. Ein Artilleriegeschoss aus dem Panzerfort »Maxim Gorki« hat ihm die rechte Vorderhand am Sprunggelenk weggerissen. Er grast ruhig weiter, schwenkt dabei aber langsam und in unsäglicher Trauer seinen blutigen Beinstumpf hin und her, sieht dann auf mit einem Blick, der einem das Blut gerinnen lässt, schüttelt verständnislos den Kopf, grast weiter.
Ich weiß nicht, ob ich das Grauenhafte dieses Anblicks richtig schildern kann; für mich war es der Inbegriff all dieses Wahnsinns überhaupt. Ich sagte dann, und auch das ist typisch, zu einem meiner Männer: »Leg das Pferd um!« Da erwiderte der Soldat, der noch zehn Minuten vorher im Kampf gestanden hat: »Ich bringe es nicht über das Herz, Herr Leutnant.« — Solche Erlebnisse sind niederdrückender, als alles »Kampfgetümmel« und die persönliche Gefahr.“
Friedrich Reinhold Haag, geb. am 31.01.1918 in Schorndorf, ist am 11.02.1943 bei Krasnodar/Russland gefallen.
(Titelfoto: Soldatenfriedhof Abtei Mariawald bei Heimbach,
Oktober 2023)
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