Gedanken zum Krieg: Werner Bergengruen – Die Bergpredigt (Veröffentlicht am 27.05.2025)


Die Bergpredigt

Da Du vom Berge uns unterwiesen,
versprachst Du den Sanftmutreichen das Land.
Du hast die Barmherzigen selig gepriesen,
die Friedsamen Söhne Gottes genannt.

Wir lachten der Sanften, sie dünkten uns Narren,
wir waren nicht zum Frieden bereit,
wir machten im Eisen das Herz uns erstarren
und hatten keine Barmherzigkeit.

Das Eisen zerbrach. Die Wälle zerreißen.
Gesänftigt liegen sie, Mann bei Mann.
Was für ein Erbe ist uns verheißen
und wessen Erbarmen rufen wir an?

 

(aus: Werner Bergengruen, Dies Irae – Eine Dichtung (1946), S. 29)

 

Werner Bergengruen (geb. am 16.09.1892 in Riga/Lettland, gest. am 04.09.1964 in Baden-Baden) war ein deutsch-baltischer Schriftsteller, er war einer der bekanntesten und beliebtesten Autoren sowohl während der NS-Zeit als auch in der frühen Bundesrepublik.

Zwar national-konservativ eingestellt, stand er dem Nationalsozialismus aufgrund seines christlich-humanistischen Weltbildes distanziert gegenüber, ohne diesen offen abzulehnen. 1937 aufgrund angeblich mangelnder Eignung zur Mitwirkung am „Aufbau der deutschen Kultur“ durch schriftstellerische Veröffentlichungen aus der „Reichsschriftumskammer“ ausgeschlossen – die Mitgliedschaft war Voraussetzung für eine berufliche Betätigung auf dem Gebiet des Schrifttums –, durfte er aufgrund einer „Dauersondergenehmigung“ dennoch publizieren. Zwar wurden sein Gedichtband „Der ewige Kaiser“ (1937) und der Roman „Am Himmel wie auf Erden“ 1940 verboten und ein Rundfunk- sowie Vortragsverbot gegen ihn verhängt, etliche andere seiner Werke durften jedoch nicht zuletzt aufgrund seiner Popularität als Autor erscheinen.

Nach der Zerstörung seines Hauses in München-Solln im Jahr 1942 übersiedelte er nach Achenkirch in Österreich und kehrte nach Stationen in der Schweiz und Italien 1958 nach Deutschland zurück, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Das hier zitierte Gedicht ist seinem Werk „Dies Irae – Eine Dichtung“ entnommen, das – im Sommer 1944 verfasst – erst nach Kriegsende erschien und sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland während der NS-Zeit dichterisch auseinandersetzt. „Dies Irae“ bedeutet „Tag des Zorns“, gewählt vermutlich in Anlehnung an eine mittelalterliche Hymne über den Tag des Jüngsten Gerichts, die seinerzeit in der kirchlichen Liturgie als Teil der Totenmesse gesungen wurde und wohl sinnbildlich für eine Abrechnung mit dem Nationalsozialismus zu verstehen ist.

 

(Titelfoto: Deutscher Soldatenfriedhof Sandweiler/Luxemburg,
September 2024)

 

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