Das deutsche Wesen: Gedanken des US-Soldaten Raymond Gantter über „die Deutschen“ während der Schlacht im Hürtgenwald (Veröffentlicht am 16.10.2025)

Wer sich mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs und den damaligen politischen Gegebenheiten in Deutschland beschäftigt, wird zwangsläufig mit der Frage konfrontiert, wie all dies eigentlich möglich war – und anscheinend, zahlreiche Quellen bezeugen dies, bis in den Untergang die Zustimmung eines sehr großen Teils der deutschen Bevölkerung fand.

Wie stets, verbietet sich jede Art von Schwarz-Weiß-Malerei. Es gab (und gibt) zu jeder Zeit – immer abhängig von den Überzeugungen des jeweiligen Betrachters – die »Schlechten« und die »Guten«, zahlreiche Schattierungen dazwischen und diejenigen, die mal das eine oder das andere oder von beidem etwas sind. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen, sondern – möglichst nüchtern – zu dokumentieren, welche Ansichten es damals in der deutschen Bevölkerung gab und auch, wie von Seiten des Auslands auf den und die damaligen Deutschen geblickt wurde.

Der deutsche Begriff des »Wesens« in seiner Doppeldeutigkeit – der einerseits die Geisteshaltung, andererseits das äußere Erscheinungsbild beschreiben kann – scheint besonders geeignet und wurde daher als thematische Überschrift gewählt.

Eine interessante externe Betrachtung des deutschen Wesens stammt von dem US-Soldaten Raymond Gantter, der mit dem 16. Infanterieregiment der 1. US-Infanteriedivision (»The Big Red One«) im Zweiten Weltkrieg in Europa eingesetzt war und der ab dem 21. November 1944 auch im Hürtgenwald kämpfte. Seine Kriegserfahrungen schrieb er in seinem Buch »Roll me over – An Infantryman’s World War II« nieder. Im Rahmen seiner Beschreibung der Kämpfe im Hürtgenwald äußert er auch seinen Blick auf die Deutschen und schreibt (a.a.O. [2007], S. 35 f.; Übersetzung aus der englischen Sprache):

 

24. November. Immer noch im Hürtgenwald.

Nach einer regnerischen Nacht ist es endlich klar geworden, und es wird erwartet, dass die Luftwaffe den Deutschen heute ordentlich einheizen wird.

In einem Monat ist Heiligabend. Das ist ein Gedanke, über den man nicht lange nachdenken sollte. Mir ist gerade aufgefallen, dass meine kindliche Freude an Weihnachten ihren Ursprung in den Weihnachtsbräuchen meiner Familie hat, als ich noch klein war. Und diese Bräuche waren deutsch. Diese Überlegung bringt mich und meine aktuelle Aufgabe in einen seltsamen Widerspruch. Ich möchte damit nicht sagen, dass ich mich zu einer Verteidigungsrede für den deutschen Staat oder gar für das deutsche Volk versteige. Ich bin überzeugt, dass genau die Eigenschaften des deutschen Nationalcharakters, aus denen die schönen Weihnachtsbräuche hervorgingen, auch das kräftige und üppige Wachstum des Nationalsozialismus genährt und gefördert haben.

Die ekstatische Emotionalität, die Symbole in Bäumen, Märchen in Flüssen und Felsen, heilige Legenden im fallenden Schnee sah – dieselbe Emotionalität, die diese sanften Wunder in Lieder und Geschichten verwandelte, brachte auch den Mythos der arischen Herrenrasse hervor, zeugte die bizarre gotische Erzählung einer deutschen Superkultur und spuckte in monströser Fehlgeburt den Albtraum der Konzentrationslager und des Völkermords aus. Ich bin sicherlich kein Wissenschaftler, und vielleicht hat es keine wissenschaftliche Gültigkeit, einer Gruppe von Menschen »nationale Eigenschaften« zuzuschreiben, aber wenn es sie gibt, würde ich eine kindliche Naivität zu den herausragenden deutschen Eigenschaften zählen, einen naiven und leichtgläubigen Glauben an die bemalten und hohlen Täuschungen, die klügere Menschen sofort als Leinwand, Pappe und Goldfarbe erkennen.“

 

Wie immer möge die Leserschaft selbst darüber befinden, ob und wieviel Wahrheit in diesen Thesen steckte oder steckt.

 

 

(Titelfoto: Gänseblümchen über einem Grabstein
auf dem Soldatenfriedhof Montabaur, Mai 2023)

 

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