Feldpostbriefe: Letzte Briefe aus Stalingrad – Brief eines namenlosen deutschen Soldaten aus dem Lazarett in Russland an seine Frau über den Verlust seiner Beine (Veröffentlicht am 01.07.2025)
Ein namenloser deutscher Soldat berichtet in einem Brief aus dem Lazarett auf dem Behelfsflugplatz Gumrak in Russland über den Verlust seiner Beine und die Situation vor Ort (Quelle: Letzte Briefe aus Stalingrad, Brief Nr. 28, S. 45 f.):
„… Dieser Brief fällt mir schon schwer, wie schwer wird er Dir erst sein! Es ist leider keine gute Nachricht, die in diesem Briefe steht. Und sie ist auch dadurch nicht besser geworden, dass ich zehn Tage gewartet habe. Nun hat sich unsere Lage so verschlimmert, dass die Befürchtung laut wurde, bald völlig von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Es wurde vor kurzem versichert, dass diese Post noch bestimmt abgeht. Wenn ich wüsste, dass es noch eine andere Gelegenheit gäbe, dann würde ich noch warten, aber ich weiß es eben nicht, und wohl oder übel muss ich mit der Sprache heraus. Der Krieg ist für mich aus.
Ich liege im Lazarett in Gumrak und warte auf den Abtransport mit dem Flugzeug. So sehnsüchtig ich auch warte, immer verschiebt sich der Termin wieder. Dass ich heimkomme, ist eine große Freude für mich und auch für meine liebe Frau, die Du doch bist. Wie ich aber nach Hause komme, wird Dir keine Freude sein. Ich bin ganz verzweifelt, wenn ich daran denke, als Krüppel vor Dir zu liegen. Aber Du musst es doch einmal wissen, dass meine Beine abgeschossen sind.
Ich will es ganz ehrlich schreiben. Das rechte Bein ist ganz zerschmettert und unterm Knie amputiert und das linke am Oberschenkel abgenommen. Der Oberarzt meint, mit Prothesen könnte ich herumlaufen wie ein Gesunder. Der Oberarzt ist ein guter Mann, und er meint es auch gut. Ich wünschte, dass er recht bekommt. Nun weißt Du es schon vorher. Liebe Elise, ich möchte nur wissen, was Du denkst. Ich habe den ganzen Tag Zeit und denke nur daran. Und meine Gedanken beschäftigen sich viel mit Dir. Ich habe mir auch schon gewünscht, dass ich tot bin, aber es ist eine schwere Sünde, und man darf so was nicht aussprechen.
Im Zelt liegen noch über achtzig Mann, draußen aber liegen ungezählte Kameraden. Durch das Zelt hört man ihr Schreien und Stöhnen, und keiner kann ihnen helfen. Neben mir liegt ein Unteroffizier aus Bromberg mit schwerem Bauchschuss. Der Oberarzt sagte, er würde bald nach Hause kommen, aber zu dem Sanitäter sagte er: ‚Länger als bis heute Abend macht er es nicht mehr, lass ihn so lange liegen.‘ Der Oberarzt ist doch ein guter Mann. Auf der anderen Seite, neben mir an der Wand, liegt ein Landser aus Breslau, der einen Arm ab und keine Nase mehr hat, und er sagte mir, dass er jetzt keine Taschentücher mehr gebrauchte. Als ich ihn gefragt habe, was er machte, wenn er weinen müsste, gab er mir die Antwort, alle hier, auch du und ich, kommen gar nicht mehr zum Weinen. Um uns werden andere bald weinen.“
Der Verlag über das Buch „Letzte Briefe aus Stalingrad“ (a.a.O., S. 67 ff.):
„Über die Herkunft der ‚Letzten Briefe aus Stalingrad‘ ließe sich eine abenteuerliche Geschichte schreiben, die Geschichte einer überorganisierten Partei- und Kriegsbürokratie mit ihren Zensoren, Schnüfflern und Bütteln. Denn die Briefe durchliefen vom Tag ihrer Beförderung aus dem Stalingrader Kessel an alle Stationen dieser Bürokratie. Man wollte aus ihnen ‚die Stimmung in der Festung Stalingrad kennenlernen‘ und ordnete deshalb im Führerhauptquartier an, die Post zu beschlagnahmen. Die Anordnung wurde als Befehl vom Oberkommando des Heeres an die Heeresfeldpost-Prüfstelle weitergegeben. Als die letzte Maschine aus dem Kessel in Nowo-Tscherkask landete, wurden sieben Postsäcke beschlagnahmt. Das war im Januar 1943. Die Briefe wurden geöffnet, Anschrift und Absender entfernt. Danach wurden sie, nach Inhalt und Tendenz geordnet, in sorgfältig verschnürten Bündeln dem Oberkommando der Wehrmacht übergeben.
Die statistische Erfassung der ‚Stimmung‘ besorgte die Heeresinformations-Abteilung und teilte sie in fünf Gruppen ein. Es ergab sich folgendes Bild:
Positiv zur Kriegführung: 2,1 %
Zweifelnd: 4,4 %
Ungläubig, ablehnend: 57,1 %
Oppositionell: 3,4 %
Ohne Stellungnahme, indifferent: 33,0 %
Nach der statistischen Erfassung und Kenntnisnahme gelangten die Briefe mit den übrigen Dokumenten über Stalingrad, mit Führeranweisungen, Befehlen, Funksprüchen und Meldungen – im ganzen etwa zehn Zentner Material –, in die Obhut eines PK-Mannes, der beauftragt worden war, ein dokumentarisches Werk über die Schlacht an der Wolga zu schreiben. Die oberste deutsche Kriegführung hätte sich gerne gerechtfertigt, aber die Sprache der Dokumente war eindeutig. So wurde das Buch verboten. ‚Untragbar für das deutsche Volk!‘ entschied der Propagandaminister. Danach wanderten die authentischen Abschriften der Briefe in das Heeresarchiv Potsdam, wo sie wenige Tage vor der Einnahme Berlins in Sicherheit gebracht und in unsere Tage herübergerettet wurden.“
(Titelfoto: Grabstein auf dem Soldatenfriedhof Gondelsheim,
Februar 2025)
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