Feldpostbriefe: Die Briefe des deutschen Soldaten Kurt Reuber und seine „Madonna von Stalingrad“, Winter 1942/43 (Veröffentlicht am 26.12.2025)

Zu den bekanntesten Feldpostbriefen deutscher Soldaten gehören diejenigen, die der Theologe und Arzt Kurt Reuber (geb. am 26.05.1906 in Kassel, gest. in russischer Kriegsgefangenschaft im Januar 1944) zwischen Dezember 1942 und Januar 1943 aus dem Kessel von Stalingrad an seine Familie geschrieben hat. Im Oktober 1939 zur Wehrmacht einberufen, nahm er ab November 1942 als Truppenarzt an der Schlacht von Stalingrad teil.

Nachdem sich der Kessel um die Stadt im November 1942 geschlossen und so bis zu 300.000 deutsche und mit ihnen verbündete Soldaten eingeschlossen hatte, zeichnete Kurt Reuber zum Weihnachtsfest 1942 auf die Rückseite einer russischen Landkarte mit Kohle das Bild einer Mutter, die, von einem weiten Umhang umhüllt, ein Kind im Arm birgt, umrahmt von den Worten „Licht, Leben, Liebe“ und „Weihnachten im Kessel 1942“. Mit dieser Zeichnung, bekannt geworden als die „Madonna von Stalingrad“, wollte Reuber nach eigenen Angaben die große Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe in einer Situation von Dunkelheit, Tod und Hass beschreiben.

Kurt Reuber beschrieb seine Eindrücke aus Stalingrad und seine Gedanken zur Erstellung der Madonna in verschiedenen, sehr lesenswerten Feldpostbriefen nach Hause, die nach dem Krieg veröffentlicht wurden.

Er schrieb (Quelle: Bähr/Meyer/Orthbandt, Kriegsbriefe gefallener Studenten 1939 – 1945, S. 189 ff.):

 

„Festung Stalingrad, 3. Dezember 1942

Schwere, schwere Tage einer bis dahin unbekannten Situation liegen hinter mir. Ein dunkler Totensonntag 1942. Angst, Furcht und Schrecken, düstere Blicke in ein Leben ohne Wiederkehr mit Schrecken ohne Ende. Später einmal werden wir uns viel zu sagen haben, jetzt ist der Abstand noch zu gering und die Dinge noch zu sehr im Fluss, und die neue Lage noch in der Entwicklung.

Du kannst Dich kaum in unsere Denk- und Gefühlswelt versetzen. Da sieht man die Schwierigkeiten, da erlebt man äußeres und inneres Leid, dunkle Schatten ringsum, viele werden schweigsam, andere deprimiert, andere werden anders – von den Leichtfertigen nicht zu reden. Da ordnen sich die Dinge, da sieht man einige Klarheit am Horizont. Was für Fluten der Gefühle und des Denkens gehen auf und nieder. Es geht ja nicht nur um das große Ganze, sondern um das eigene Leben und es geht um die Eigenen, die dann, wenn alles vorüber ist, weiterleben müssen. – Man tut Tiefenblicke in seine Welt und in die Umwelt. Echtes und Unechtes scheiden sich.

Zur äußeren Lage: Wir hocken zusammen in einigen Erdlöchern einer Steppenschlucht. Notdürftigst eingegraben und eingerichtet. Dreck und Lehm. Aus nichts wird etwas gemacht. Kaum Holz zum Bunkern. Mäßige Feuerstellen. Wasser von weither geholt, sehr knapp. Verpflegung noch zum Sattwerden. Ringsherum triste Landschaft in großer Monotonie und Melancholie. Winterwetter mit wechselnder Kälte. Schnee, Sturm, Frost, plötzlich Schlackwetter. Bekleidung gut: Wattehose, Pelzweste, Filzstiefel und mein unbezahlbarer Pelz, in dieser Lage mein bestes Stück. Seit Urlaub Kleidung nicht mehr vom Leib. Läuse. Mäuse nachts übers Gesicht. Sand rieselt in der Höhle aufs Lager. Ringsum Schlachtengetöse. Wir haben gute Deckung und haben uns gut verschanzt. Aufgesparte Reste werden geteilt. Man wird unwillkürlich an das Schützengrabendasein im Stellungskrieg 1914 – 1918 erinnert. Balken, Lehmhöhlenwände, Kerze, zusammenhockende Köpfe, Schweigen, Schweigen. – Fragen nach der Lage. »Bedenkliche« Gespräche, Heimatgespräche, Sichklammern an Gerüchte, echter Humor, Galgenhumor, Zynismus. – Kommandeur spielt auf der Mundharmonika in die Stille hinein: »Bald ist Heilige Nacht« (es war der erste Advent). Dann blitzen Erinnerungen an das schöne vergangene Leben auf, mit Genuss und Versuchlichkeit, Liebe und Schande. Und jeder wünscht nur eins: Leben, am Leben bleiben! Das ist nackt und wirklich und wahr das Letzte: der Wille zum Leben, zum eigenen Leben. Ernsthafte Gespräche über Gott und Welt. Und draußen furchtbares Kampfgetöse der Vernichtung. – Das Herz ist übervoll. Ich möchte Dich nur an meiner Gegenwart und jüngsten Vergangenheit Anteil nehmen lassen. Du sollst auch in dieser Lage nicht in vollkommenem Nichtwissen um mich stehen.

Ich tue meinen Dienst. Die Sorge um die Verwundeten, besonders um ihren Abtransport, ist die größte Aufgabe. Und dann habe ich mich entschlossen, dem Unglück seinen Sinn zu geben. Die paar verelendeten Zivilisten, die mit uns in Erdlöchern hausen, und die Gefangenen hole ich in den Sanitätsbunker und zeichne sie. Es sind schon einige gute Arbeiten entstanden. Ich arbeite dann so hingegeben, dass ich fast alles um mich herum vergesse, ja kaum mehr den Kampflärm höre. Ich bin dann beinahe glücklich.

Heute suchte ich mir die vierjährige Nina. Sie gab mir ihr Patschhändchen und ging zutraulich mit mir in den Bunker. Ich zeichnete ihr liebes Gesichtchen. Plötzlich Fliegerangriff. Ich zeichnete weiter, denn wir waren in Deckung. Ich beruhigte Klein-Nina. Dann aber krachten die Bomben furchtbar. Ich nahm die kleine, wimmernde Nina in meinen Arm und warf mich zu Boden mit ihr. Als die Detonationen vorüber waren, arbeitete ich, wenn auch mit zitternden Händen, weiter. Nach wenigen Sekunden aber musste ich den Stift mit den ärztlichen Instrumenten vertauschen.

Abends, seit Einbruch der Dunkelheit um 14 Uhr – die lange, lange Dunkelheit –, lese ich in der Kunstgeschichte und gestern habe ich mit meinem Regimentsarzt Physik und Chemie (Elektronentheorie) getrieben. – Aber wie haben mich Deine und der Kinder Briefe berührt, die ich bei der Rückkehr vorfand. Erst vor wenigen Tagen konnte ich sie lesen. Ach, mit welcher Liebe und Erwartung sind sie geschrieben. – Wie weit fort ist diese gute, schöne Welt und doch, wie unmittelbar nah dem Herzen. Ich war ganz nahe bei Euch und voll Liebe und Erwartung für die Zukunft. Gerade jetzt! Diese Monologe und diese Dialoge mit Dir jetzt. Wie trafen mich Deine Worte: Es könnte einmal der letzte Brief sein, den ich von Dir, den Du von mir empfingest. Und wie möge dieser Brief sein? – Ich bin so unglaublich dessen gewiss, dass wir uns wiedersehen. Sei nie verzagt! Könnte ich Dir doch etwas von der Schwere dieser langen Wartezeit abnehmen. Sie ist für Euch schwerer als für uns.

 

 18. Dezember 1942

Es ist der 28. Tag, man hat die Zeit nicht bemerkt, aber doch die Wirkung an uns, wie wandelt sie uns. Alles leidet, Leib und Seele. – Ich habe einige seelische und leibliche Reserven anbrechen müssen. Wie manchmal hat das Herz gezittert und wie manchmal stand die Schwermut vor der Türe oder trat herein. Dennoch, ich muss es immer wieder sagen, ich habe weiter die Kraft des Aushaltens und des Widerstandes. Zuweilen überkommt mich eine richtige Herzensfröhlichkeit. Geduld, Ruhe und Zuversicht haben mich trotz allem nicht einen Augenblick verlassen.

Im großen Bunker steht nun ein Klavier, das eine andere Einheit bisher auf einem LKW mitschleppte. Nun spielt unser Kommandant, der Musiker, unter der Erde Klavier. Eigenartig und nie gehört, diese Akustik zwischen den Lehmwänden. Wie hört man hier unter der Erde Musik! Suiten von Bach und Händel, Sätze aus dem Klavierkonzert in A-Dur von Mozart, aus Beethovens Pathetique-Sonate, von Chopin und Schumann. Und wie gut spielt der Kommandeur. Man ist ganz hingenommen von dieser Musik. Man wird solche musischen Stunden nie vergessen! Da kommt Hauptmann Str. mitten aus dem Kampf eben mal zu uns hereingesprungen. Er berichtet von traurigem und leidvollem Erleben seiner Kampfgruppe. Das Gespräch geht wie Wellental und Berg auf und ab. Der Kommandeur spielt wieder, dabei dröhnen die Wände wider vom Geschützfeuer und Bombenhagel, dabei fällt der Sand über uns. Man zuckt und horcht eine Weile, dann hat die Musik wieder ihr Wort.

Uns trennt jetzt ein so weites Feld – und ich bin Euch so nahe. Die Sonne strahlt über die weite, weiße Steppe, bald geht sie zwar unter, aber »sie tönt nach alter Weise«. Gestern Abend kam es mir blitzartig, dass ich diese Kraft, die mich trägt, dem Zusammensein mit Dir, mit Euch, verdanke. So lebe ich hier von Euch. –

 

Heilige Nacht 1942

Ich will diese Nacht nicht vergehen lassen, ohne Dir wenigstens ein paar Worte geschrieben zu haben. – Aber auch dazu bin ich nicht mehr fähig. Es ist beinahe Mitternacht und ich bin von vorausgegangener Arbeit und Schlaflosigkeit, von allem, allem, vom Wechselspiel dieser Tage und Stunden so todmüde und abgespannt, dass ich wirklich fast umfalle. Und mein Herz ist so übervoll – Du weißt ja, von was wohl und ich weiß nicht, wohin damit. Es muss bei mir bleiben, wieder eine Nacht lang, und morgen ist wieder ein Tag. Dann rede ich mit Euch. Jetzt redet es nur in mir, so herzergreifend, und ich sehe Bilder von Euch in mir – ach, diese Bilder – aber wie stark der Schlaf ist – Gute Nacht.

 

Stalingrad, 1. Weihnachtsfeiertag 25. Dezember 1942, abends

Es mag an dem Ernst unserer Lage liegen, dass dieses Weihnachtsfest mit rührender Liebe und Hingabe gestaltet wurde. Ob Dein Einfühlungsvermögen groß genug ist, Dir eine Vorstellung von unserer Weihnacht zu machen: Du kannst es kaum ahnen. Bedenk unsere Lage – unseren Kreis – Steppe weit und breit. Kein Baum kein Strauch. Es ist nichts da, was über das Allerlebensnotwendigtse hinausgeht. Ein Stück Brot oder Holz ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Das Notwendigste wird vorsorglich eingeteilt. Welche Freude mache ich meinen Kranken mit einem halben Stück Brot, das ich aufhebe, wenn ich satt bin. Holz wird unter Einsatz des Lebens aus unseren geräumten früheren Bunkern herbeigeholt. Gestern fiel dabei ein für uns arbeitender Gefangener. Bluterkaufte Wärme! Unser guter Nikolaj mit dem Pockengesicht. – Seit zwei Tagen elender Schneesturm, so dass sich der Kommandeur heute auf dem 800 m-Weg » zur Kirche « die Ohren erfror. Vorsorglich hatte man seit Wochen kleine Reserven für das Fest aufgehoben. Aus ganz, ganz verschwiegenen Ecken wurden Weltwunder hervorgezaubert, kaum mehr glaubhafte Dinge. Und wie geschickt und mit welcher rührenden Liebe es die Männer herrichteten. Not lehrt beten und noch anderes, nicht zuletzt echt menschliche kameradschaftliche Liebe.

Jeder versuchte, dem andern eine Freude zu bereiten. Wie die Männer ihre Bunker ausgestaltet hatten! – Überall Adventskränze aus Steppengras oder »Weihnachtsbäume« aus Holzspänen. – Ich ging durch alle Bunker, brachte den Männern meine Zeichnungen und plauderte mit ihnen. Wie sie dasaßen! Wie in der guten Stube bei Mutter am Fest. Mundharmonika, Geige, Gesang, Fröhlichkeit, zu der‘ einer dem andern verhalf, Fröhlichkeit für Stunden im Schein der wenigen Kerzenstummel. Aber in den Bunkerecken war es dunkel und in jeder hatte sich die Traurigkeit der einzelnen versteckt, aber ab und zu kroch sie hervor. Darüber kann man nicht reden oder schreiben… Um 14 Uhr war in einer Balka Antreten, zwei Lieder » Stille Nacht« und »Es ist ein Ros’ entsprungen…«. Wie dieser holpernde Männergesang in der Steppe verhallte – auch darüber kann man nicht reden. Und was in uns vorging… manche Augen wurden feucht. Kurze, nüchterne Ansprache unseres Kommandeurs, nicht ohne Wärme, nicht religiös, wollte er wohl auch nicht. Dann Bunkerfeiern der Kameradschaften. Der Adjutant und ich bereiteten unseren Raum und Gabentisch, so »wie daheim«… Hereinrufen, Bescherung. Dann am Ende ich im Kreise meiner Kranken und Sanitäter zu einer Feier. Der Kommandeur hatte den Kranken eine letzte Flasche Sekt gestiftet. Wir erhoben unsere Feldbecher und tranken auf das, was wir lieben.

Mit gefülltem Becher warfen wir uns zu Boden, vier Bomben draußen. Ich nehme meine Arzttasche und renne zu den Einschlägen. Ein Toter und drei Verwundete. Mein schöner Festbunker im weihnachtlichen Lichterglanz verwandelt sich in einen Verbandsplatz. Ich kann dem Sterbenden nicht mehr helfen. Die Verwundeten kann ich gut versorgen. Sie kommen davon. Zwei, die sich draußen bei der Wache ablösten. Der Tote, der aus dem Festkreis im Augenblick zum Dienst hinausgegangen war, hatte eben noch gesagt: Aber erst will ich das Lied mit Euch zu Ende singen »O du fröhliche…«. Einen Augenblick später tot. Traurige, schwere Arbeit im Festbunker. Unser Feiern war vorbei. Wir saßen noch zusammen. » Die Stimmung « war fort, krampfhafte Versuche, die der eine dem andern zuliebe machte, halfen nichts. Eigentlich waren wir innerlich auf Angriffe gerade am Heiligen Abend vorbereitet. Und so kamen dann auch noch zwei Artilleriefeuerüberfälle. Wie es durch die Heilige Nacht dröhnte!

Heute morgen Feldgottesdienst. Pfarrer E…. hielt, da das Zelt klein ist, von 7 Uhr früh bis Mittag Gottesdienste. Die Zeltwände flatterten im Schneesturm. Ein schlichter Altar, wir im Halbkreis um ihn. Männergesang, alte Weihnachtslieder, Ansprache, Gebet und Segen. – Die Überzeugung, die Situation, die Wirkung auf die Männer, ja der Hunger, etwas Erhebendes zu verspüren, das war echt und ernst. Welche Möglichkeiten, welche Aufgabe, welche Aufgeschlossenheit. –

Ich muss schließen. Es geht mir weiter gut, vor allem an diesem unvergesslichen Weihnachtsfest, in das ich mich ganz »hineingestellt« habe. Wie ich an Euch gedacht habe, das weißt Du. Ich habe nur eine Bitte gehabt: Mögen meine unaussprechlich geliebten Kinder und ihre Mutter in aller Traurigkeit froh werden. – Es ist Nacht – aber doch Heilige Nacht.

 

Festung Stalingrad, nach Weihnachten

Die Festwoche ist zu Ende gegangen mit so vielem, mit Gedanken, kriegerischen Ereignissen, mit Harren und Warten, in gefasster Geduld und Zuversicht. Wie waren die Tage angefüllt mit Waffenlärm und vieler ärztlicher Arbeit – und trotz allem auch mit meiner persönlichen Arbeit in der Vorbereitung echter Freude für meine Kameraden! Ich habe folgendes gearbeitet: vier russische Landschaften. Es war für mich ein künstlerisches Problem, denn ich besaß nur schwarze Kreide und tat irgendwo einen braunen Farbstift auf. Man sagt, ich habe überzeugend die Steppe eingefangen, vor allem den Himmel. Dann habe ich für den General die sechs Mannschafts- und die beiden Offiziersbunker gemalt. Ich habe lange bedacht, was ich malen sollte – und dabei herausgekommen ist eine »Madonna« oder Mutter mit Kind. Ach, könnte ich so gestalten, wie die Intuition es möchte! Meine Lehmhöhle verwandelte sich in ein Atelier. Dieser einzige Raum, kein nötiger Abstand vom Bild möglich! Dazu musste ich auf mein Bretterlager oder auf den Schemel steigen und von oben auf das Bild schauen. Dauerndes Anstoßen, Hinfallen, Verschwinden der Stifte in den Lehmspalten. Für die große Madonnenzeichnung keine rechte Unterlage. Nur ein schräggestellter, selbstgezimmerter Tisch, um den man sich herumquetschen musste, mangelhaftes Material, als Papier eine russische Landkarte.

 

 

Aber wenn ich sagen könnte, wie mich diese Arbeit an der Madonna ergriffen hat und wie ich ganz dabei war, wie mir alles als Entwurf für spätere Arbeiten vorschwebte! Die Zeichnung ist angelegt in großen Flächen, Formen und Linien, alles vereinfachend, in der Fläche bleibend, wie ein Fresko, zugleich aber Entwurf für eine Plastik. Es ist meine auch hier und da in den Köpfen angewandte Art. Dass der wesensmäßige Gehalt des Bildwerkes und das, was es ausdrücken will – beinahe unbeabsichtigt – durch die sachliche, äußere künstlerische Formgebung transparent wird, das habe ich an der eindrucksvollen Wirkung gesehen. Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinander geneigt, von einem großen Tuch umschlossen, Geborgenheit und Umschließung von Mutter und Kind. Mir kamen die johanneischen Worte: Licht, Leben, Liebe. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen – und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in jedem von uns! Ganz elementar physisch zunächst, ganz verschieden bei den einzelnen, und dann gewandelt in die geistige Sehnsucht, diese notvolle Sehnsucht nach einer Überwelt, die der Erde treu bleibt und sich doch aus ihr erhebt. Die Worte werden zum Symbol einer Sehnsucht nach allem, was äußerlich so wenig da ist und was am Ende nur in unserem Innersten geboren werden kann. Diese drei Dinge möchte ich in dem erdhaft-ewigen Geschehen von Mutter und Kind in ihrer Geborgenheit andeuten. Dieses Erdhaft-Gegenständliche wird mir transparent für die ewigen Hintergründe – und am Ende wird es dann Weihnachten, und dann tritt die Madonna vor uns hin.

Ich will noch etwas von der Aufnahme der Zeichnung sagen: Als ich nach altem Brauch die Weihnachtstür, die Lattentür unseres Bunkers, öffnete und die Kameraden eintraten, standen sie wie gebannt, andächtig und ergriffen schweigend vor dem Bild an der Lehmwand, unter dem auf einem in die Lehmwand eingerammten Holzscheit ein Licht brannte. Die ganze Feier stand unter der Wirkung des Bildes, und gedankenvoll lasen sie die Worte: Licht, Leben, Liebe. – Heute morgen kam der Regimentsarzt zu mir und dankte mir für diese Weihnachtsfreude. Noch spät in der Nacht, als die andern schliefen, hätte er mit einigen Kameraden immer wieder von seinem Lager aus das Bild im Kerzenschein gedankenvoll ansehen müssen. Ob Kommandeur oder Landser, die Madonna war immer Gegenstand äußerer und innerer Betrachtung.

 

Festung Stalingrad, 29. Dezember 1942

Du kannst Dir gar nicht vorstellen, welche Freude es war, als heute Morgen um 7 Uhr Dein Luftpostbrief auf meinem Tisch lag. Endlich, seit Wochen wieder Worte von Dir. Man wartete schon kaum mehr, fand sich mit der Tatsache ab, dass die Flieger »lebensnotwendigere« Dinge bei Tag und Nacht heranzuführen haben als Post, und dass manches zugrunde geht? Wer haderte in dieser Lage noch mit diesen Umständen?

Wie haben mich oft die Sorgen um Euch gequält, die Vorstellung Eurer bangen Ungewissheit, Deiner dunkelsten Gedanken, bar jeder Hoffnung. Und dass man da nicht helfen kann, in diesem Eurem ohnmächtigen Warten. Die Vorstellung dieses Leides, das anderer Art als das unsere und in seiner Art noch viel schwerer zu tragen ist als unser inneres und äußeres Dasein, quält entsetzlich. Ihr armen, hilflosen Frauen! – Nun aber ist die Verbindung mit Dir und der Außenwelt zum ersten Mal wieder hergestellt. Ach, und wie sie hergestellt ist! Ich weiß nicht, ob ich Deine Worte mit Tränen gelesen habe, wenn ja, waren es Tränen der Freude und Dankbarkeit darüber, dass meine Hoffnung, Du möchtest in allem schweren Leid, in allen unaussprechlichen Prüfungen, in echter Weltüberwindung so tapfer und senkrecht dastehen, wie Du es tust, und Trost und Freudespender den Kindern sein, nicht enttäuscht wurde. Du hast es geschafft. Du hast meinen Worten Glauben geschenkt, dass ich angesichts des Ernstes der Lage keine Trostpillen gebe. Ich danke Dir für diesen Sieg. Du hast alle Last auf Dich allein genommen und hast wieder einen hellen Schein in die Kinderaugen gestrahlt. – So hat ihnen dennoch das Weihnachtslicht groß und in stillem Glanz geschienen – ich will es glauben – wenn auch in stillem Glanz, so wie die Sonne am Abend eines Regentages unter Wolken. Ich weiß ja alles, alles.

Dein geliebtes Hiobswort vom »Herausgehobenwerden aus dem Rachen der Angst in freien Raum, da keine Bedrängnis mehr ist«, hat jetzt in seiner Sehnsucht plastische buchstäbliche Bedeutung… Wie harren wir dieser Stunde, die Er bestimmt. Welche Tiefen musst Du durchmessen haben! Deine Worte deuten es an. Und welche Höhen hast Du dennoch erreicht, – auch sie erahne ich. Lasse es beim Ahnen und Andeuten vorerst bleiben. Vielleicht mögen wir später einmal das befreiende Wort finden. Herz und Kopf sind noch zu übervoll und noch ganz der Gegenwart verhaftet. Und es ist ja noch nicht alles vorüber…

Gestern Abend las ich in den Novellen von Hans Grimm, in denen er so tiefschauend von den geängsteten Tieren schreibt, von den verfolgten, in einen Kessel zusammengetriebenen … Kannst Du Dir die vom Tod gehetzten Tiere vorstellen, die um ihr Leben rennen, wild herumgetrieben und sich dann dem Kampf auf Leben und Tod stellen – und dann lückenlos umstellt. – Was liegt alles hinter uns, – jene ersten Tage, in denen keiner ein und aus wusste, Angriff auf Angriff, von allen Seiten, Granaten, Panzer, Maschinengewehre, die furchtbare Stalinorgel, Bomben und alle Waffen und alles Auge in Auge. – Aber die Kraft wächst an der Gegenkraft. Man wird auch an den Zustand gewöhnt. Das Krachen lässt nicht mehr so sehr aufschrecken, man weiß sich in dieser Lage zu benehmen. Man hat das Notwendige zu seiner Sicherheit getan und lässt sich ruhig in seinem Bunker den Sand über den Kopf regnen und arbeitet oder liest oder unterhält sich weiter… Um uns steht die stabile eigene Waffe auf Wache, und wie man ihr vertraut. Die Transportflugzeuge schaffen Tag und Nacht. Was heißt Hunger? Man kann mit Wenigem und noch Wenigerem auskommen. Die Lage der Kranken und Verwundeten ist wieder erträglich, ich habe wieder Medikamente.

Als ich heute Nacht über den Schnee schlich, stand frierend und vor Hunger Holz nagend ein kleines Russenpferd an unserer Feldküche angebunden. Ich habe einen Augenblick bei dieser armen Kreatur geweilt. Mich ergreift immer wieder das Elend dieser armen Tiere. Heute diente es uns als Nahrung. Dieses ewige Gesetz von Zeugung und Tötung zur Lebenserhaltung, auch in dieser weiten, weißen Steppe der Lebensverlassenheit und. Stummheit. Über sie ging heute Abend der Halbmond seltsam ergreifend auf, wie ich ihn nie sah. Und dieser Sternenhimmel, zu dem man, ungeachtet alles ununterbrochenen, vernichtenden Motorengeheuls, aufsehen muss! Diese prächtigen Sonnentage milder, klarer Winterkälte über der unermesslichen Weite. Wie ergreift einen der Glanz dieser Tage und man vergisst, was ringsum am Horizont steht. Wie gütig ist das Wetter dieser Tage zu uns, für unser äußeres Schicksal und inneres Wohlergehen. Und schon sieht man noch um ½ 16 Uhr den letzten gründurchleuchteten Schimmer des gewesenen Tages im Westen. Schon werden die Tage länger, denn es war Sonnenwende, und das grüngelbe, lichthungrige Gras an meinen Bunkerwänden wächst von Tag zu Tag. Das Leben geht weiter.

 

Sylvester in Festung Stalingrad

Das alte Jahr geht zu Ende. – Alles Erleben ist ja unermesslich groß gewesen! Meine Briefe, meine Zeichnungen, unsere Gespräche während des einzigen Sehens in diesem Jahr – und wie vieles ist unausgesprochen geblieben – sind der Versuch des Ausdrucks gewesen. Ich will nicht klagen über das namenlose Leid, das an mir und am Mitleiden an den anderen geschehen ist – Wintereinsatz 1942, Sommer- und Herbstschlachten und nun unsere Lage jetzt und die vielen quälenden Fragen am Abgrund des Nichts! Ich will davon nicht reden, auch nicht von den kleinen Freuden, von den Erfolgen und Fortschritten. Wenn ich aber etwas, das Entscheidende, so ganz aus tiefem Fühlen und Denken sagen darf, dann dieses: dass ich in allem unendlich dankbar bin für alles, womit mich dieses seltsame Jahr bedeutend gesegnet hat. Vielleicht ist es in meinem Leben bisher das bedeutsamste Jahr gewesen im Hell-Dunkel unserer Erdenzeit. Ich weiß auch, dass es mich zu Bedeutsamem verpflichtet.

Ich habe von mir geredet und hätte doch besser »wir« sagen sollen, denn wo ich gehe, da gehst Du auch. Du hast in und an meiner Welt gelitten und erlebt und hast es in Deiner allein. – Wie ich Dir immer dankbar bin für das Wort des Aeschylos aus den Persern: »Gib jedem Unglück seinen Sinn und jedem Tage einen Tropfen Freude«. War es nicht so bei uns? Soll es nicht so in der Zukunft sein und in den schweren, dunklen Tagen der Jahreswende – unerbittlich dunkle Tage in ihrer Art bei uns, in ihrer Art bei Dir. –

Wir wollen nicht von der Zukunft reden, ich kann es nicht. Und doch, ich weiß nicht, woher mir die tragenden Kräfte kommen, an jedem Tag glaubend, hoffend und mit gewisser Zuversicht zu leben.

 

Stalingrad, 4./5. Januar 1945 nachts

Ich sitze beim Karbidlicht und beginne ein Nachtbild von mir in der Hoffnung, dass es mein Kommandeur nach Deutschland mitnehmen könnte. Da unterbricht mich ein Melder und sagt, dass der Kommandeur wahrscheinlich noch in dieser Nacht abfliegen wird. Ob das Nachtbild was geworden wäre? – Nun, ich will an ihm Weiterarbeiten. Schade nur, dass das, was ich an Bildern Dir mitgeben wollte, bei dem überplötzlichen Abflug nicht bereit ist. Es geht in dieser Unruhe alles anders als nach eigenen Gesetzen.

 

 6. Januar 1943

Den vorigen Zettel schrieb ich in Eile, da der Kommandeur abfliegen sollte. Aber plötzlich schlechtes Wetter, daher kein Abflug. Stündliches Warten auf Abruf. In diesem Hängen und Würgen ist es mir doch gelungen, Dir ein Bild von mir zu zeichnen. Vielleicht siehst Du es ihm an, unter welchen Umständen es entstanden ist, teils tags, teils nachts, zwischen ärztlicher Arbeit, Schlachtenlärm, Bomben, Schneesturm, Deckung nehmen und allem Durcheinander – und bei meiner Schau der inneren und äußeren Dinge. Ich wollte noch Weiterarbeiten, da plötzlich Abruf, Abbruch der Arbeit. Junkers-Flugzeuge sind gekommen, der Kommandeur nimmt die Sachen mit. W. schreibt heute von einem Kessel, der nur noch nach oben offen ist. Ja, nach oben, innere und äußere Rettung!

 

Stalingrad, 6. Januar 1945 [Letzter Brief an die Kinder]

Heute gab ich meinem kranken Kommandeur, der zu Euch fliegt, ein Päckchen mit. Auf dem einen Bild ist Euer Vater, es gehört der Mutter. »Klein-Nina« sollst Du, mein kleinstes Töchterchen, haben. Es ist die Kleine, die ich, als ich sie gerade zeichnete, auf dem Boden der Erdhöhle in meinen Arm nahm. Denn sie zitterte und wimmerte, als die Bomben krachten. Danach ließ sie sich wieder auf die Kiste setzen und weiter zeichnen. – Die »Festungsmadonna« gehört Euch allen. Die Mutter kann Euch erzählen, wie gut es ist, wenn der Mensch in schweren Zeiten eine Festung in sich hat, dass er fest bleibt.

 

 7. Januar 1943

Kaum eine irdische Hoffnung mehr, den sicheren Tod vor Augen oder ein Schrecken ohne Ende in Gefangenschaft, irgendwo im Raum aller Unbarmherzigkeit. – Wir wissen nun, was sich um uns ereignet hat. Anfängliche Hoffnung auf eine baldige Wende hat sich zerschlagen, wir wissen, dass wir noch lange aushalten müssen. Soweit es menschenmöglich ist, ist es mir bisher gelungen, innerlich aufrecht zu bleiben und nicht drohenden Verzweiflungsgedanken zu verfallen. – Wir haben uns tief in die Erde eingegraben, die wir so unendlich lieben. Alles andere weiß ich im ewigen Schicksalswillen eingeschlossen. Du ahnst nicht, was diese dunkelste Zeit für ein Menschenleben bedeutet, diese Prüfungen müssen sich segnend an uns auswirken. –

 

[Brief aus der Gefangenschaft, nach Kriegsende durch einen Heimkehrer überbracht]

Russland, Advent 1943

Wir wollen davon schweigen, wie bergeschwer das gegenseitige Missen gerade in diesem Jahr als Leid auf uns lastet, und auf Dir am allerschwersten. Wenn auch im Dasein eines Kriegsgefangenen, – ich weiß ja, dass ich noch lebe. Aber Dir hat man nüchtern mitgeteilt, ich sei vermisst. Wie nagt das Leid Deiner Ungewissheit an mir, gerade jetzt in der Weihnachtszeit. Ob Du mich unter den Hunderttausenden Toten von Stalingrad suchst oder bang hoffend unter seinen Überlebenden? Ob Du Dir sagst, dass Euer bisheriges Weihnachtswarten auf mich nun endgültig »vergeblich« sei? – Ach, wenn Dich doch irgendeine Botschaft erreicht hätte, ich sei noch da, für Euch da!

Ob Du vor einem Jahr meinen letzten Weihnachtsgruß aus der Festung Stalingrad erhalten hast, den ich meinem Kommandeur mitgab, als er noch kurz vor dem Ende aus der »Festung ohne Dach« ausflog? – Vor einem Jahr – Weihnacht – Stalingrad. – Wie anders war da unser Weihnachtshoffen! Dein letzter Brief sagte es mir. Du vertrautest trotz allem dem Wort von der zugesagten Befreiung. Und wir? Wir durchlebten und durchkämpften die größte Adventszeit unseres Lebens in tätiger Erwartung der Ankunft unserer Erlösung, – ich möchte sagen, in bedeutungsvoller Analogie zu den mythisch-politischen Adventserwartungen jener Menschen um die Zeitenwende, die notvoll auf die Ankunft einer Befreiung von inneren und äußeren Fesseln warteten. –

Die mythisch-politische Tradition, in der Advent und Weihnacht stehen, wurde uns zur ernsten Realität. Nur wenige von uns ahnten in einem Dasein vor dem Nichts, am Ende, in Todesnachbarschaft, das Verhängnis des Untergangs und der Vernichtung. Wir sind in unserer äußeren Advents- und Weihnachtshoffnung bitter enttäuscht worden, weil sie sich auf Irrealität gründete. Uns sind in der Verkettung von Schuld und Schicksal die Augen für die Schuld weit geöffnet worden. Weißt Du, vielleicht werden wir am Ende unseres jetzigen schweren Weges noch einmal dafür dankbar sein, dass uns durch scheinbare Enttäuschung unserer »Adventserwartung«, durch alles Leid der vorjährigen und auch der diesjährigen Weihnacht eine wahre Erlösung und Befreiung des Einzelnen und Volkes zuteil wird.

Wenn Dich mein vorjähriger Weihnachtsgruß aus dem Kessel erreicht hat, fandest Du dabei eine Zeichnung für unseren Gefechtsstand, in dem wir die ergreifendste Weihnachtsfeier angesichts des Todes durchlebten, – jene Mutter, die im dunklen Trauerkleid ihr lichtvolles Kind birgt. Um den Rand schrieb ich die Symbolworte alter Mystik: Licht – Liebe – Leben. Schaue in dem Kind das Erstgeborene einer neuen Menschheit an, das, unter Schmerzen geboren, alle Dunkelheit und Traurigkeit überstrahlt. Es sei uns Sinnbild sieghaften zukunftsfrohen Lebens, das wir nach aller Todeserfahrung um so heißer und echter lieben wollen, ein Leben, das nur lebenswert ist, wenn es lichtstrahlend rein und liebewarm ist. So erfüllen wir den tiefen Sinn unseres alten Weihnachtsliedes:

Das ewige Licht geht da hinein
gibt der Welt ein’ neuen Schein.
Es leucht’ wohl mitten in der Nacht
und uns des Lichtes Kinder macht.

Ich will jetzt nicht von den ganz großen Weihnachtswünschen sprechen, die die Welt bewegen: Kriegsende, gerechter Friede, bessere Gerechtigkeit unter Klassen und Völkern. Ich denke dabei an das Wort des im vorigen Krieg gefallenen Malers Franz Marc, das Du mir aus seinen Feldbriefen in den Kessel schriebst: »Jeder von uns hat große Sehnsucht nach Frieden. Aber was stellen sich die meisten unter Frieden vor? Wiederaufnahme des friedenswidrigen Lebens!« Eine bittere Wahrheit, – damals wie heute! Wie viele sind da, die, obschon der jetzige grauenvolle Krieg noch nicht vorüber ist, in ihrer Gesinnung auf kriegerischer Auseinandersetzung als dem einzigen Mittel des Sich Durchsetzens beharren. Die erste Voraussetzung einer wahren Befriedung der Welt liegt im Abstellen des Friedenswidrigen im allerpersönlichsten Leben. Wenn wir ehrlich sind, in dieser prüfungsreichen Kriegszeit, die uns Zeit kritischer Selbstbesinnung und Sehnsucht nach der großen Weihnacht des Friedens, der Sonnenwende aller Schrecken, ist, ist jedem von uns klarer als sonst geworden, was er als Friedenswidrigkeit und Entzweiung des Lebens zunächst in seinem engsten Kreis abzustellen hat. Bei uns Gefangenen, deren Lebensumstände zur Einkehr zwingen, meldet sich oft die Stimme des Gewissens. Ob wir ihr alle zukünftig folgen werden oder ob wir ungewandelt in die Heimat zurückkehren? Im letzteren Falle, so sagte mir ein sterbender Kamerad, wären wir nach aller Tiefenerfahrung des weiteren Lebens nicht mehr wert. Ohne viel Worte darüber zu machen, ahnst Du, liebste Frau, was dies für mich, uns beide und unsere Kinder zu sagen hat.

Ich will den Blick der Tiefe nicht verlieren für alles Menschliche, aber auch für das, was daraus erhebt. – Diese Bilder! Es wird einmal die Zeit kommen, in der ich die Augen schließen muss, lange und schweigsam, um mit diesen Bildern im Innern fertig zu werden. Aber in allem weiß ich um die letzte stillende Macht. Wie eine große Plastik stehen die Worte des Psalms vor mir, die mir jetzt so bedeutungsvoll werden, wie ich es nie ahnte: »Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist Du auch da«. In einer ernsten Stunde der Einkehr sagte ich sie meinen Kameraden und dazu jenes andere Wort: »Dennoch bleibe ich stets an Dir«.“

 

Im Januar 1943 geriet Kurt Reuber in russische Kriegsgefangenschaft, er starb im Frühjahr 1944 im dortigen Kriegsgefangenenlager Jelabuga.

Das Original der „Madonna von Stalingrad“ übergab Kurt Reubers Familie im August 1983 der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, wo sie sich noch heute befindet. Reproduktionen der Zeichnung sind als Mahnung gegen den Krieg in zahlreichen Kirchen in Deutschland, Österreich, England, Russland ausgestellt.

 

 

(Titelfoto: Verschneite Landschaft bei Garmisch-Partenkirchen,
Februar 2013)

 

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