Feldpostbriefe: Briefe deutscher Soldaten und Angehöriger betreffend die Schlacht um Stalingrad 1942/43 (Veröffentlicht am 20.10.2025)
Die deutsche Niederlage in der Schlacht um Stalingrad war ein Wendepunt des Zweiten Weltkriegs. Ursprünglich als Ausgangspunkt für einen weiteren Vorstoß in den Kaukasus vorgesehen, endete der im Spätsommer 1942 begonnene deutsche Angriff auf das Industriezentrum Stalingrad nach einer russischen Gegenoffensive im November 1942 mit der Einkesselung und letztlich der weitgehenden Vernichtung der 6. deutschen Armee. Ungeachtet der aussichtslosen Situation der nur unzureichend versorgten Soldaten im Kessel von Stalingrad ließ die deutsche Führung sie ausharren und die Kämpfe fortsetzen. Die meisten der verbliebenen deutschen Soldaten stellten Ende Januar/Anfang Februar 1943 ihre Kampfhandlungen ein und gingen in Kriegsgefangenschaft. Von den ungefähr 110.000 Soldaten der Wehrmacht und verbündeter Truppen, die in Gefangenschaft gingen, kehrten nur rund 6.000 in ihre Heimat zurück. Die Kämpfe um die Stadt kosteten rund 700.000 Menschen das Leben, die meisten davon Soldaten der Roten Armee.
Das Buch „Das andere Gesicht des Krieges – Deutsche Feldpostbriefe 1939 – 1945“ der Herausgeber Ortwin Buchbender und Reinhold Sterz enthält ein eigenes Kapitel mit auf die Schlacht von Stalingrad bezogenen Feldpostbriefen deutscher Soldaten und ihrer Angehörigen. Diese Briefe bringen sehr treffend zum Ausdruck, wie die ursprünglich vielfach überheblich zur Schau getragene Siegessicherheit langsam den Realitäten wich.
Zu den dort dokumentierten Briefen gehören die folgenden (Quelle: Buchbender/Sterz, Das andere Gesicht des Krieges – Deutsche Feldpostbriefe 1939 – 1945, 2. Aufl. (1983), S. 95 ff.):
Montag, 24. August 1942
Gefreiter B. G., 6. Kp./Fla-Btl. 55 (Brief 161, S. 96 f.):
„Bald können wir mit Recht das Lied singen: »Es steht ein Soldat am Wolgastrand«, denn nur noch eine vom Russen besetzte und zäh verteidigte Hügelkette trennt uns von der Wolga, und bis Stalingrad sind es auch nur noch 45 Kilometer. Unsere Division liegt nun schon zwei Tage weit im hügeligen Gelände auseinandergezogen, denn erst muss die Artillerie und die Luftwaffe den Weg einigermaßen frei machen. Und das tun sie wieder mit deutscher Gründlichkeit. Gestern konnten wir mit einem Fernglas sehen, wie die Russen mit ihrer Artillerie türmten. Es wird noch einige Tage dauern, bis der eigentliche Angriff auf Stalingrad beginnt. Die Infanterie-Divisionen sind halt noch nicht so weit wie wir, und wir müssen anscheinend auf diese hier warten. Auf Stalingrad hat ja der Russe alles gesetzt. Davon hängt sicher viel von dem Ausgang des Russlandfeldzuges ab. Stalin soll selbst die Verteidigung der Stadt in Händen haben. Aber das wird das Schicksal der Stadt auch nicht wenden, und wenn es wie Woronesch in Rauch und Flammen aufgeht …“
Sonntag, 6. September 1942
Frau A. T., Bad Reichenhall (Brief 163, S. 97):
„… Nun ist wieder eine Pause eingetreten mit Deinen lieben Nachrichten, und ich höre nur die Berichte von den furchtbaren Kämpfen. Wie Ihr das nur so durchmachen könnt, was für eine Macht von Energie und Mut gehört doch dazu. Wie alle, alle das bewundern, und alle und ich besonders wünschen, es möge doch endlich Schluss sein! Neulich erzählte jemand, dass mit der Eroberung Stalingrads so eine große Entscheidung herbeigeführt sei, weil die Russen von ihren Ölquellen abgeschnitten sind, und wenn auch noch manche Industriegebiete im Ural liegen, auf das Südgebiet sind sie angewiesen. Man spricht ja von einem nicht zu fernliegenden Ende. Jeder, der es hört – atmet auf. Und ich erst! Wäre es nur erst schon so weit …“
Donnerstag, 1. Oktober 1942
Unteroffizier J. S., 6. Kp./Inf.Rgt. 226, 79. Inf.Div. (Brief 165, S. 98):
„… Wir liegen nordwestlich Stalingrad in Stellung, den Don haben wir selbst noch nicht überschritten. Ich freue mich, dass mir das harte Ringen um Stalingrad erspart wurde. Da geht es wirklich hart auf hart. Stalingrad ist die Lieblingsstadt vom Genossen Stalin und für den Russen auch sehr wichtig. Deshalb setzt der Russe alles daran, diese Stadt nicht zu verlieren. Das Schicksal Stalingrads dürfte heute aber schon besiegelt sein.
Wo wir liegen ist eine sehr arme Gegend, sehr dünn bevölkert, meistens nur Steppe. Bei uns versucht der Russe auch durchzubrechen, um den Nachschub nach Stalingrad abzuschneiden. Die Stellung wurde von uns immer gehalten, der Feind hatte große Verluste an Menschen. So haben wir in wenigen Tagen sechs russische Divisionen zerschlagen. Eine Leistung, wo wir doch schon ziemlich abgekämpft sind. Seit Juli 1941 ist meine Division nun ununterbrochen im Einsatz …“
Dienstag, 27. Oktober 1942
Soldat K. H., Aufkl.Abt. 113, 113. Inf.Div. (Brief 167, S. 98 f.):
„… Wir haben hier nördlich Stalingrad vor acht Tagen Winterstellung bezogen. Es ist kein verlockendes Bild hier in dieser Steppe. Weit und breit kein Dorf, kein Wald, kein Baum, kein Strauch und kein Tropfen Wasser. Jeden Tag greift der Russe an. Die Stadt selbst ist ja ganz zertrümmert und brennt noch überall und beleuchtet zur Nachtzeit die weite Steppe. Hier passt ein Wort aus dem Evangelium, an das ich schon oft gedacht habe: Kein Stein soll auf dem anderen bleiben. Hier ist die Wirklichkeit so. Die Küche holt das Wasser für Kaffee und Tee stundenweit mit dem Auto heran. Stunde um Stunde und Tag für Tag brausen die deutschen Bomber über der restlichen Stadt, um das Werk zu vollenden. Doch ich hoffe und habe den festen Glauben, dass ich auch diese Zeit wieder überstehe, wie ich in diesem Sommer schon so manche große Gefahr überstanden habe. Man darf den Mut und das Gottvertrauen nicht verlieren, auch wenn die Maschinengewehre noch so böllern und die Bomben und Granaten krachen. Sollte es das Schicksal bestimmt haben, dass ich nicht mehr aus diesem Hexenkessel herauskommen sollte, dann ist es eben Gottes Wille …“
Montag, 14. Dezember 1942
Soldat K. P., Nachsch.Tr. 367, 367. Inf.Div. (Brief 168, S. 99):
„… Die ganze Zeit haben wir nicht schreiben können. Seit dem 22. November sind wir eingekesselt. Die schlimmste Lage ist jetzt vorbei. Wir hoffen alle, dass wir bis Weihnachten aus dem Kessel heraus sind. Wir sind noch z. Zt. eingekesselt, aber der Russe ist schon wieder eingekesselt von deutschen Truppen. General von Manstein ist noch 30 km von uns entfernt. Wir haben schon schwere Stunden mitmachen müssen, das könnt Ihr mir schon glauben. Ich habe das Lachen verlernt. Mein Wagen hat vor acht Tagen einen Bombenvolltreffer erhalten. Ich selber war Gott sei Dank zehn Meter davon entfernt. Wo man hinfährt, bekommt man Artilleriefeuer. Ihr könnt mir schon glauben, ich habe mir eingebildet, es ist nicht so schlimm, aber es kann noch schlimmer kommen.
Ihr müsst schon entschuldigen, wenn ich so schlecht schreibe und ohne Zusammenhang. Wenn Ihr sehen würdet, wo ich schreibe, dann könntet Ihr es verstehen. Ich sitze hier in einem Erdbunker, links und rechts Einschläge, hinten und vorne. Ich muss schnell schreiben, ich weiß nicht, wann ich hier wieder flüchten muss. An dem Brief schreibe ich schon das vierte Mal. Jetzt muss ich aufhören, es ist Essenempfang.
Liebe Eltern, der Krieg wird jetzt auch bald ein Ende nehmen. Wenn die Einkreisungsschlacht vorbei ist, wird der Krieg in Russland fertig sein …“
Freitag, 1. Januar 1943
Sonderführer H., Wirtschafts-Erfassungs-Kdo. 6 (Brief 171, S. 100 f.):
„… Ich bin dem Schicksal nicht gram, dass es mich hierher stellte. Die harte Not, die noch Monate dauern kann, aber nach Möglichkeit nicht dauern sollte, ist uns nur ein Gebot erhöhter Pflichterfüllung, erhöhten Dienens an der Gemeinschaft. Unter dem Donnern der Geschütze, dem Tacken der MG, dem Stottern der Motoren zerging gestern ein Angriff der Roten, der ihnen noch im alten Jahr die Stadt Stalingrad wiedergeben sollte. Als Antwort klang um 24 Uhr der Leuthener Choral zu den Russen über die Wolga, wo der Lautsprecherwagen der Bolschewiken in großer Geschmacklosigkeit sang: »Morgenrot, Morgenrot, morgen gibt es noch kein Brot!« Mit diesen Dingen fängt man keinen Landser mehr, dessen Antlitz hier so geprägt wird, wie es im Weltkrieg war, und wie es uns aus vielen Bildern entgegenleuchtet, zur Hälfte schon dem Irdischen entrückt und in die Ewigkeit gewachsen. Die traurigen Flugblatteinlagen, nun endlich nutzlosen Widerstand aufzugeben, beantworteten deutsche Soldaten um 24 Uhr mit einem Neujahrsfeuer, das den Roten endgültig beigebracht hat, dass es für ihre Propaganda keinen Raum im Hirn des Landsers gibt…
Wieder wird der Russe den Winter dazu benutzt haben, um uns das »napoleonische Schicksal« zu bereiten, was ihm im vorigen Winter nicht glückte. Und ebenso wie bei uns, wird es auch woanders wieder hart auf hart gehen, nur erfrieren wird man unter den gewöhnlichen und normalen Umständen nicht mehr. Wieder ist Toropez ein Angelpunkt, wieder geht’s um Ilmensee und Wolchowfront. Wann hat das Ringen ein Ende? Ich glaube und hoffe, und das ist auch ein Neujahrswunsch, dass der Kampf um unsere Lage hier sich letzten Endes auswächst zu einer Angelegenheit von wichtigster Bedeutung, ja vielleicht entscheidenden Ausmaßes für die Beendigung des Krieges überhaupt. Man muss doch zwischen den Zeilen lesen können. Der Russe bittet in seinen Lithos geradezu die deutschen Offiziere, sich doch nun endlich gefangen zu geben, gegen den eisernen »Ring der Roten« (Wagner!) gebe es keinen Widerstand mehr. Ja, da fragt man sich nur »Warum drückt ihr alsdann nicht unseren Ballon ein, wie wir es bislang immer getan haben?« …“
Dienstag, 12. Januar 1943
Gefreiter B. L., Feldgend.Tr. 414 (Brief 172, S. 101 f.):
„… Wie Ihr ja sicher aus vielen Schilderungen der Presse gehört habt, ist der Kampf um Stalingrad wohl der schwerste dieses ganzen Ringens, vor allem dadurch, dass er so lange anhält. Und zum Kampf um diese Stadt gehörten ja auch die vorhergehenden Kämpfe, da nur dadurch die Stadt erreicht werden konnte. Und da von beiden Seiten dieser Kampf wohl als kriegsentscheidend angesehen wurde, ist er auch entsprechend hartnäckig geführt worden. Ende August haben auch wir den Don überschritten und haben dann in dieser Keilstellung mit drin gelegen. Ende Oktober haben dann alle überflüssigen Teile unserer Abteilung und auch unseres Feldgendarmerie-Trupps weiter zurückliegende Quartiere bezogen, lediglich fünf Kameraden und ich sind als stehendes Kommando zurückgeblieben. Im Verlauf unseres Einsatzes sind wir dann auch in Stalingrad gewesen, die Wolga, diesen Schicksalsstrom, habe ich also auch zu sehen bekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es immer sehr heiß hier hergegangen, vielleicht habt Ihr das auch erfahren. Leider sind die Verluste auch bei unserer Abteilung, die dort noch nicht einmal im Kampf lag, verhältnismäßig groß.
Mitte November wurden die Kämpfe dann immer stärker, die führten dazu, dass wir ab 22. November ohne Verbindung mit unseren rückwärtigen Verbindungen sind. Das werdet Ihr vielleicht nicht wissen. Wir sind daher mit unserer Versorgung auf Flugzeuge angewiesen. Wie schwierig diese Versorgung ist, werdet Ihr Euch vorstellen können. Setzte doch im Dezember der Winter mit schlechtem Flugwetter ein und erschwerte die Versorgung. Die erste Folge war eine radikale Schmälerung der Verpflegung, die zweite schlechte Postverbindung. Erst einmal, am 22. Dezember, haben wir nur Post, und zwar Briefpost und Eure Päckchen bekommen. Leider konnte der Russe noch weitere Fortschritte machen, vor allem wieder begünstigt durch das Wetter. Angeblich herangeführte starke deutsche Kräfte haben noch zu keinem Entsatz geführt, wir hoffen, dass es ihnen noch gelingt. Dass wir im Verlauf dieser Zeit einiges erlebt haben, von dem man im Briefe nichts sagen kann, ist wohl verständlich. Nun ist die Lage in den letzten Tagen gerade bei uns noch kritischer geworden, so dass die weitere Entwicklung nicht abzusehen ist. Ich habe von alledem noch nie etwas erwähnt, um keinen von Euch zu beunruhigen, ich möchte aber doch, dass jetzt jemand erfährt, wie es um uns aussieht …“
Mittwoch, 13. Januar 1943
Hauptmann H., 3. Kp./Korps-Nachr.Abt. 60 (Brief 174, S. 102):
„… Bitte traure und weine nicht um mich, wenn Du dieses mein letztes Lebenszeichen erhältst. Ich stehe hier draußen in eisigem Sturm auf verlorenem Posten in der Schicksalsstadt Stalingrad. Seit Monaten eingeschlossen, werden wir morgen zum letzten Kampf Mann gegen Mann antreten, und ich bin sehr stolz, bei diesem einzigartigen Heldenepos der Geschichte als deutscher Offizier teilhaben zu dürfen. Ich verabschiede mich also von Dir, die Du mir eine liebe Kameradin warst …“
Obergefreiter H., Gen.Kdo. XIV. Pz.K. (Brief 176, S. 102 f.):
„… Du wirst Dich wundern, dass ich Dir schreibe, aber in so einer Lage kann ich nur an Dich schreiben, denn Du warst ja selbst im Krieg und bist über den Ernst und die Gefahr, die ein Krieg mit sich bringt, im Bilde. Lieber Vater, Lotte wird es Dir schon erzählt haben, dass wir bei Stalingrad eingeschlossen sind und nur durch Flugzeuge versorgt werden können. Bis jetzt ging es ganz gut, es gab zwar nicht allzu viel zu essen, aber man hätte es aushalten können. Aber, lieber Vater, seit Sonntag ist die Sache sehr ernst geworden. Der Russe hat den Ring noch enger eingedrückt, aber jetzt können wir nicht mehr weg, wo wollen wir noch hin, entweder in russische Gefangenschaft oder in den Tod. Wir wollen zwar beides nicht hoffen, aber es ist sehr ernst, und jetzt hat jeder den Befehl bekommen, nochmal nach Hause zu schreiben, muss aber bis 17 Uhr abgegeben sein.
Lieber Vater, da ich schon als Sicherung eingeteilt worden bin, als Verteidigung, denn es wird damit gerechnet, dass der Russe heut’ Abend kommt, so bitte ich Dich, lieber Vater, wenn es das Schicksal schlecht will mit mir, meiner lieben Frau viele Grüße und viele Küsse zu übermitteln, und sie soll sich nicht grämen um mich, sie soll noch recht lange gesund bleiben, und Euch, liebe Eltern, viele Grüße und vielen Dank für all Eure Mühe, die Ihr an mir hattet, aber wir wollen hoffen, dass es Gott im letzten Moment doch noch gut meint mit mir. Darum bitte ich Dich, lieber Vater, halte den Brief geheim für Dich, und wenn Du neue Post von mir bekommst, dass alles gut gegangen ist, bitte ich Dich, den Brief zu vernichten, aber wenn es das Schicksal will, dass ich die Heimat, Euch liebe Eltern und meine heißgeliebte Frau, die ich treu liebte bis zum letzten Tag, nicht wiedersehen sollte, so sag’ bitte meiner Frau die letzten Grüße …
Lieber Vater, ich wünsche Dir und Mutter noch recht viele gesunde Lebenstage, und macht Euch bitte keine Sorge um mich, denn es sind ja so viele, die dasselbe Schicksal trifft …“
Donnerstag, 28. Januar 1943
Oberleutnant H. H., Kdr./Inf.Div.Nachsch.Tr. 258,258. Inf.Div. (Brief 179, S. 104 f.):
„… Vorhin erhielt ich das erste Mal seit langer Zeit den Wehrmachtbericht ausgehändigt. Er war aber vom 7. Januar 1943. Er beginnt mit folgendem Wortlaut: »Die große Winterschlacht an der Ostfront dauert mit unverminderter Stärke an und weitet sich auf neue Räume aus. Die noch kampffähigen Teile der 6. Armee verkrallen sich in die Trümmer der Stadt Stalingrad« usw.
Dieses Geständnis will mir fast als die Todesanzeige der letzten Reste der stolzen Panzerarmee Paulus erscheinen. Ich muss sagen, dass der verzweifelte Widerstand, den dort unten ein kläglicher Haufen deutscher Soldaten leistet, doch etwas Erhebendes ist. Es schneidet einem das Herz ab, wenn man darüber nachdenkt. Aber es kommt mir vor, dass gerade das die Stunde der Bewährung sein muss, denn während guter und schöner Zeiten Begeisterung für eine Sache aufzubringen, erfordert im großen und ganzen oft nicht mehr als ein Glas Schnaps. Deine Treue mit dem Tod vor Augen zu halten, ist ein Dienst, dem wir uns würdig erweisen müssen. Das ist wohl die Verpflichtung, die uns die Männer auferlegen, die sich in den Stunden der Gefahr herauslösen aus irdischer Bedrängnis und über ihren eigenen Körper siegend zu Helden wurden. Möchte es uns wie ihnen gelingen, wenn uns die Stunde der Prüfung kommen sollte. Jetzt in der Gefahr ist der ein elender Knecht, der sein Leben in den Vordergrund wegen eitler Freude zu erhalten versucht. Und so bete ich im stillen manchem tapferen Soldaten dort unten vieles ab. Sie sind oft mit all den menschlichen Lastern behaftet gewesen und haben ihnen gefrönt, aber der Opfertod sühnt alles. Er zwingt uns zu einer Verehrung. So glaube ich, dass viele Menschen so in meiner Lage denken könnten. Und wenn ich der allgemeinen Gefahr auch nicht ausgesetzt bin, so könnte auch für mich die Stunde der Bewährung kommen.
Siehst Du, und die Gewissheit, dass in der höchsten Gefahr auch viele Schwache teils stark, teils den Weg in ihr Volk zurückfanden, ist für uns alle erhebend. Das klopft an unser Herz, und so bitte ich Dich, nicht vielleicht eine Trostlosigkeit über Dich Herr werden zu lassen. Es wäre der schlechteste Dienst, den Du mir und uns allen erweisen könntest. Dabei will ich jetzt auch nicht im Unterbewusstsein irgendeine Äußerung im Brief von Dir als Grund zu einer Ermahnung betrachten. Ich bitte Dich nur darum. Selbst glaube ich, dass Dir meine Haltung keine Sorge bereiten dürfte. Ich fühle auf einmal eine große Festigkeit. In Zeiten der Not gibt es nur ein Gebot. Was ist der einzelne, wenn es um das Leben eines Volkes geht? Sei also auch Du tapfer und bekämpfe trübe Gedanken, die sich Dir aufdrängen, wenn sie so geäußert werden. Das ist bestimmt ein gutes Werk …“
Montag, 1. Februar 1943
Leutnant P. G., Rgts.Stab/Gren.Rgt. 721, 714. Inf.Div. (Brief 181, S. 105):
„… Schwermütig und niedergeschlagen vernahm ich heute im Wehrmachtbericht die erwartete Tatsache, dass Stalingrad mit einem Teil vom Gegner erreicht worden ist. Dass das so kommen muss, das war doch klar, erst recht, nachdem Göring in knappen, bestimmenden Worten das verlorene Schicksal dieser Tapfersten aller Tapferen deutete. Ja, dieses Ringen ums Leben, den Tod vor Augen sehend, ist etwas unmenschlich Heroisches! Hier in Stalingrad wogt nun ein Meer besten deutschen Blutes, auf der anderen Seite aber fließen Ströme auf Ströme und nochmals Ströme auf Ströme qualvollster Tränen in der Heimat. Noch nie ist in diesem Krieg ein derartiger Heldenkampf gekämpft worden. Aus diesem wütenden Kessel wird nun niemand mehr seine Heimat sehen!!
Es ist wohl wahr, dass wir diesen unvergänglichen Stalingradkämpfern überhaupt nicht gleichkommen. Es sind ganz andere Menschen. Und deshalb begreifen wir auch nicht dieses Ringen bis in den Tod. Ich glaube, noch nie wird das nationalsozialistische Deutschland so ernst gewesen sein wie jetzt. Denn wohl jede zweite Familie wird einen Vater, Sohn, Mann oder Bräutigam in diesem todbringenden Kessel gehabt haben. Wir leben in einer Zeit, deren wirklicher Wert erst von vielen viele Jahre später erkannt werden wird. Hier kommt es nicht mehr auf den einzelnen an, hier geht’s ums Ganze. Nur solange wir uns dessen bewusst sind, können wir zum Siege kommen! Und glaube mir, die Heimat hat es hierbei viel schwerer als die Front! Wer hat denn mehr zu leiden!? Der Kämpfer stirbt draußen den Heldentod. Er stirbt für den Sieg! Die Angehörigen aber können ihn nicht vergessen. Es ist ihnen ein Stück ihres Lebens genommen! …“
Mittwoch, 3. Februar 1943
Soldat (unleserlich), Gen.Kdo. I. A.K. (Brief 183, S. 106):
„… Wer im Vaterlande ist heute noch ohne Trauer und Sorge – so ist es wie ein Tribut, den man dieser grausamen Zeit abstattet – und leider Gottes noch entfernt nicht der letzte. Inzwischen ist nun auch der kleine Sohn meiner Schwester Christa bei Stalingrad geblieben und mit zu der großen Armee getreten, die die größte der Geschichte – diesmal wirklich – zu werden sich anschickt. Manchmal scheint’s mir, man muss direkt ein schlechtes Gewissen haben, heil zu bleiben – vorläufig wenigstens – und vielleicht eines fernen Tages heimzukehren, und das angesichts all der Mütter, Frauen und Kinder, die ihr Leben verloren haben. Man selbst ist schließlich in einem Alter, wo man ruhig abtreten könnte – aber all diese Jungens, die noch gar nicht wissen, was Leben heißt – das belastet einen schwer, so stumpf und gefühllos wie man geworden ist in diesen Jahren. Doch all dies Schlimme – wir können’s nicht wenden …“
Sonntag, 7. Februar 1943
Frau E. S., Vratza/Bulgarien (Brief 184, S. 106 f.):
„… Ob Du Nachricht von Erich hast? Vor zehn Tagen bekam ich einen Brief von ihm, abgesandt am 19. November. Inzwischen ist das Schlimmste geschehen, es hat mich ganz krank gemacht. Erich ist in »Stalingrab«, und ob da für ihn ein Wunder geschah, ich glaube es nicht. Total fertig bin ich mal wieder, kann nichts mehr lesen oder hören von dem Stalingrad, im Kino bei der Wochenschau wird mir schlecht. Und Mutter, wie wird es der erst zumute sein, um vier Söhne weint sie sich die Augen blind …
Hier hörst und siehst Du nichts wie dieses unheimliche »Stalingrab!« Man erzählt, dass dort eine Viertel Million Deutscher, die Besten der Besten, verloren gingen. Und ich meine, man hätte halt beizeiten die Stadt räumen müssen. Mit diesem Heer und so guten Soldaten, die jetzt nicht mehr da sind, hätte man die Front doch halten können, auch hinter dem Don, wo ja noch immer die härtesten Kämpfe sind. Wie lange noch wird der brave Soldat diesem verfluchten Russenansturm, der in so großen Massen geführt wird, noch standhalten? Trotz des felsenfesten Vertrauens auf die deutsche Führung bekomme ich es doch mit der Angst zu tun, nur bei dem Gedanken, der Kommunist könnte doch noch siegen …
Wollen sehen, was das nahende Frühjahr bringt. Der heißeste Wunsch jedes Menschen wäre Frieden, wenigstens soll es den Soldaten und Hitler gelingen, im Osten endgültig aufzuräumen. Dann sind die Opfer von Stalingrad doch nicht umsonst gewesen …“
(Titelfoto: Grabsteine auf dem Soldatenfriedhof Ittenbach,
August 2025)
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