Feldpostbriefe: Aus einem Brief des deutschen Soldaten Konstantin von Schaubert an seine Eltern von der Ostfront, Dezember 1944 (Veröffentlicht am 17.12.2025)
(Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen – Briefe aus dem Krieg (2010), S. 175 f.):
„20.12.1944, angekommen am 25.12.1944
Träumereien!
Ich sitze bei Kerzenlicht in einem nüchternen Büroraum, an dem vielleicht früher irgendein verstaubter Bürobeamter gesessen hat. Neben mir mein Grammophon. Ich lege die erste Platte auf. Eine Melodie der Puszta. Leise klagend klingt das Lied durch den Raum und hallt hohl von den kalten Wänden wieder. Ich denke an die ersten Tage in Ungarn, an die Puszta. Ein Name steht wie ein Markstein in meinem Gedächtnis: ‚Kaba‘ – zugleich ein Begriff von der nüchternen Furchtbarkeit des Krieges. Ich sehe die ersten Toten, brennende Panzer, höre die Einschläge der Stalin-Orgel, das bellende Bersten der Granatwerfer.
Ich sehe das Heldentum des deutschen Soldaten, einen Straßengraben, kaum einen Meter tief, und doch ein Himmelreich, darin Offiziere, Mannschaften, Tote, Verwundete, graue fahle Gesichter, totenähnlich. Dennoch! Die nächste Platte! Eine Jazz-Melodie belebt den Raum. Ich sehe Budapest. Menschen, die vom Kriege keine Ahnung haben. Festlich gekleidet, Cafés haben ihre Türen halb offen, heraus tönt leise beschwingte, leichte Musik. Offiziere in Gala-Uniformen an der Seite schöner Frauen.
Ich komme mir vor wie ein Dorfjunge, der zum ersten Male in der Großstadt ist. Jetzt klingt eine Operette auf. Wann war ich das letzte Mal im Theater? Ich rieche förmlich den Duft, den jedes Theater füllt. Ein Gemisch von Parfum, Puder und Schweiß – da, ein Einschlag, er kann nicht weit weg sein, hat es jemanden erwischt? Nun klingt aus dem Nebenraum ein Lied, das Lied meiner Männer. Ein richtiges Seeräuberlied. Ich sehe ihre strahlenden Gesichter, ich sehe aber auch die Gesichter derer, die nicht mehr bei uns sind und doch einmal waren – Hannibal, wo bist du geblieben? Weißt du noch, als wir in der einen Nacht beide allein mit einer Panzerfaust und einer M.Pi. [Maschinenpistole] auf den T 34 [russischer Kampfpanzer] losgingen? Du erzähltest mir noch von deinen Eltern und Geschwistern, von deinem lieben Hamburg. Bist du tot? Oder lebst du noch irgendwo?
Und Du, Schiessl, weißt Du noch, als wir zusammen den Bunker bauten? Wo steckst Du jetzt? Aber die Platte dreht sich weiter – man muss sie aber vorsichtig behandeln, sonst bekommt sie einen Sprung oder bricht ganz entzwei. Beinahe wie beim Menschen. Draußen tobt der Krieg. In der Ferne fließt die Donau.
Gedanken bei Kerzenlicht und Musik eines Grammophons, aufgezeichnet am Abend des 20. Dezember 1944. Vielleicht ist es Blödsinn, vielleicht kann mancher doch einen Sinn darin entdecken. Es gibt doch noch etwas Höheres, von dem wir Menschen keine Ahnung haben. Wir glauben es zu kennen und kommen doch nicht im Entferntesten heran.
Konstantin von Schaubert.“
Konstantin von Schaubert, geb. am 16.03.1925 in Berlin, wird seit Februar 1945 im Raum Budapest/Ungarn vermisst.
Bei den in seinem Brief erwähnten beiden weiteren Männern „Hannibal“ und „Schiessl“ handelt es sich um Heinz Hannibal, geb. am 27.12.1923, und Richard Schießl, geb. am 21.08.1924, beide offenbar vermisst seit dem 06.12.1944.
(Titelfoto: Eingang zum Soldatenfriedhof Daleiden,
Februar 2025)
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