Feldpostbriefe: Der letzte Brief des deutschen Soldaten Karl-Heinz Trogisch an seine Ehefrau aus Stalingrad, Dezember 1942 (Veröffentlicht am 22.12.2025)
(Quelle: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Letzte Lebenszeichen – Briefe aus dem Krieg (2010), S. 202 ff.):
„Im Felde, den 26.12.1942
Mein liebes gutes Altichen!
Zuerst will ich Dir für Deinen lieben Brief danken, den ich schon vor einigen Tagen erhielt. Es ist zwar ein älterer Brief, aber doch immer ein Liebes- und Lebenszeichen von Dir. Beantworten will ich ihn nachher. Vorerst will ich etwas vom Fest schreiben. Liebes Mädel, ich will hoffen, dass Du diese Tage mit den Kindern in froher Gesundheit verlebt hast. Auch wenn ich nicht habe bei Dir sein können, so soll Dich das nicht abgehalten haben, ein frohes Weihnachtsfest zu feiern, die Hauptsache sind ja unsere Kinder, denen Du trotz der schweren und ernsten Zeit doch ein frohes Herz zeigen solltest. Sicher hast Du Besuch gehabt oder bist sogar selbst zu Besuch gewesen. Na, Du wirst mir ja von den Tagen schreiben, wie alles so gewesen ist und was alles geschehen ist. Ja, Weihnachten ist nun vorüber, es sind dieses die ersten, die ich nicht habe zu Hause verleben können. Diese Weihnacht wird mir auch immer in Erinnerung bleiben, weil wir es unter ganz besonderen Verhältnissen feierten. Es hat wohl keinen Zweck, viel herumzureden, denn Du würdest doch nur viele Fragen haben.
Da will ich es lieber gleich schreiben, es ist ja auch alles nicht so schlimm. Nun, wir sind seit über 4 Wochen eingekesselt und halten nun die von uns erreichte Front, bis eben der Kessel von anderen Truppen hinten wieder zur Öffnung gezwungen wird. Selbstverständlich, dass man uns erst Munition und Sprit für Panzer und Fahrzeuge durch die Luft bringt und dann erst anderes, Verpflegung, Post usw. Klar, dass die Verpflegung nun nicht bedeutend ist und die Post selten ankommt, aber das ist nun mal nicht zu ändern und wir müssen eben auch ohne Post und mit wenig Essen auskommen, es geht, denn es muss sein. Hauptsache bleibt, dass die Front vor uns gehalten wird und sie wird gehalten. Wir lassen jedenfalls den Kopf nicht hängen, denn unser Führer kennt unsere Lage und hat uns Entsatz zugesagt. Das genügt vollständig. Nun müssen wir jetzt eben aushalten.
So fehlte denn an Heiligabend alles, was eben erst dazu gehört, vor allem die Post aus der Heimat. Aber das kommt später alles nach und dann feiern wir doppelt. Heiligabend war still und ernst. Seit dieser Woche bin ich wieder gesund, wenn ich auch noch etwas hinke und Verband habe, so geht es doch. Meinen Wagen fährt ein Kamerad, da ich doch noch nicht ganz auf Deck bin, darüber bin ich eigentlich ganz froh, denn so brauche ich gar nicht zu fahren. Habe wohl einen anderen Wagen übernommen, aber gefahren wird nicht. Na, jedenfalls bin ich auch in eine Panjebude [russisches Bauernhaus] gezogen, zu der Abteilung (Adjutant), zu der ich nun auch gehöre. Hier haben wir auch Heiligabend gefeiert. Es feierte alles in kleinen Gruppen, so wie man wohnte.
In unserer Bude steht nun – in Russland eigentlich noch nie gesehen – ein Klavier, das sogar sehr gut ist. Das ist es denn auch klar, dass ich auch drauf spiele. Zur Feier waren auch der General und andere Offiziere da. Es war alles ernst und feierlich gestimmt. Mein Chef, der mich hatte spielen hören, bat mich zu spielen und ich tat es dann ja auch. Da war es plötzlich für mich Weihnacht, meine Gedanken waren bei Dir und den Kindern und Dir und uns spielte ich das alte Lied der stillen Nacht. Ich bin bei Dir gewesen trotz der großen Trennung, vielleicht hast Du es gefühlt und ich glaube, dass ich auch Deinen Gedanken begegnet bin, denn ich glaubte Deine Nähe zu fühlen. Mein Spiel hatte eine Ergriffenheit bei allen zur Folge und ich glaube, es hat beigetragen, dass keiner diese Weihnachtsfeier vergessen wird. Der General drückte mir nur still die Hand. So war unsere Weihnacht, Geschenke waren natürlich nicht da, von wo auch, aber das ist ja unwichtig. Hoffentlich aber bald ein Brief. Die Päckchen von daheim kommen ja noch lange nicht, erst wenn alles wieder klar ist. Sei aber nicht traurig darüber, die Freude darüber ist nachher umso größer.
Mache Dir auch bitte keine Sorgen um mich, es wird schon alles werden, es hat schon ärger gebrauset. Die Feiertage sind dann bei Dienst und Arbeit vergangen, denn Bunker sind sehr nötig und Arbeit hält auch die Gedanken zusammen. Kalt haben wir es jetzt sehr. Gestern und heute über 30 Grad [unter Null]. Wenn nur nicht solch starker Wind wäre, aber man erträgt auch so etwas. Ja, Altichen, ich könnte Dir sehr vieles erzählen, doch im Brief hört sich alles schlimmer an, als es ist, und Du sollst Dir keine dummen Gedanken machen. Später erzähle ich Dir dann alles, was im Krieg geschehen kann. An Mutti habe ich geschrieben, doch wird dieser Brief nicht angekommen sein, bitte sage ihr, dass ich auch an sie gedacht und geschrieben habe, ebenso an Sigrid, die mir so oft geschrieben hatte. – Ja, zur Beantwortung Deines Briefes ist nun kein Platz mehr, aber ich werde bald wieder schreiben. –
In einigen Tagen nun ist dieses Jahr zu Ende, möge uns das neue Jahr Erfüllung unserer Wünsche bringen. Ich wünsche Dir, mein Liebstes, zum Jahreswechsel alles, alles Gute, Glück und Segen, vor allem natürlich beste Gesundheit, den Kindern in ihrer Unschuld viel Glück und Segen, auch gute Gesundheit ist zum Glück notwendig. Wir werden das neue Jahr auch in ernster Stimmung erwarten, möge es uns den Sieg und Erfolg bringen. – Also, mein liebes gutes Frauchen, sei nicht ängstlich. Wenn Dein Alter mal in der Klemme sitzt, er kommt trotzdem wieder, die Überzeugung habe ich ganz fest. – Anbei ein paar Marken, denn die musst Du schon haben, sonst warte ich sehr lange auf Post. Ich möchte vor allem ja wissen, wie es Dir gesundheitlich geht, das ist mir so sehr wichtig, also schreibe mir bitte oft. – Für heute werde ich mein Briefchen beenden. Nochmals Dir und den Kindern alles, alles Gute, Glück und Segen zum Jahreswechsel. Meine Gedanken sind stets bei Dir und werden Dich auch ins neue Jahr begleiten. Den Kindern vom Vati viele liebe Küsse, Dir, mein liebstes Mädel, innigste Grüße und lange heiße Küsse von Deinem, Dich über alles liebenden, sich sehr, sehr bangenden, dankbaren, treuen
Alten.“
Karl-Heinz Trogisch, geb. am 20.04.1909 in Tilsit/Ostpreußen, gilt seit 1943 als vermisst.
(Titelfoto: Verschneite Bäume im Allgäu bei Füssen,
Februar 2016)
Meine Arbeit können Sie hier unterstützen, vielen Dank!
