Tagebücher aus dem Krieg: Der deutsche Soldat Robert Rupp beschreibt den Krieg in Russland im Jahr 1941 (Veröffentlicht am 31.08.2025)
Der deutsche Unteroffizier Robert Rupp, im Zivilberuf Volksschullehrer, nahm vom Beginn des deutschen Angriffs auf Russland am 22.06.1941 an den Kämpfen teil, er fiel im Dezember 1941. Seine Erfahrungen hat er für seinen damals zweijährigen Sohn in einem Tagebuch niedergeschrieben.
Auszüge daraus wurden in dem Buch von Hans Dollinger „Kain, wo ist Dein Bruder? Was der Mensch im Zweiten Weltkrieg erleiden musste – dokumentiert in Tagebüchern und Briefen“ (1983) veröffentlicht und werden hier wiedergegeben.
Am Abend des 21.06.1941, dem Tag vor dem deutschen Angriff, notiert Robert Rupp (aus: Dollinger, S. 79):
„Ruhe vor dem Sturm. Wir bauen uns aus der Fahrzeugplane ein Zelt. Gegen Abend Ansprache des Kommandeurs. Der Aufruf des Führers an die Soldaten der Ostfront wird vorgelesen…“
Eintrag am 24.06.1941 (aus: Dollinger, S. 80 f.):
„Etwa um 3.00 Uhr weckt uns Gewehr- und MG-Geknatter. Der Halbzug steht zur Verfügung des Chefs in Gegend der eigenen Panzer an der Straße. Hinter dem lichten Wäldchen, vor dem die 2. Kompanie liegt, brennen ein paar Strohhäuser. Die Leute treiben ihre Kühe aus, tragen ihre Habseligkeiten heraus. Ein Spähtrupp unter Limmer will die nachstehenden Häuser durchsuchen. Er findet in den Äckern und Häusern versteckt einzelne Russen. Etwa 50 Gefangene werden eingebracht, darunter Verwundete.
Einem ist die Backe von einer Handgranate aufgerissen. Er bittet mich um Wasser und schlürft gierig den Tee. Ein Major fragt die Russen in ihrer Sprache aus, der militärische Kommissar ist nicht dabei, er ist geflohen. Die Gefangenen werden froher, teilen die Sowjetsterne, die an ihren Mützen stecken, aus; die Verwundeten sitzen lange unverbunden am Straßenrand. Sie müssen warten, bis die deutschen Verwundeten behandelt sind und werden dann vom Arzt behandelt. W. zeigt stolz seine blutbeschmierten Hände und brüstet sich damit, ein paar Russen erschossen zu haben. Sie hätten ihm nachgeschossen, sagt er…
Nachmittags, als ich schlafe, ertönen plötzlich ein paar Schüsse. Ich wache auf und schimpfe, weil ich glaube, einer hätte auf Hunde geschossen. Ein großer Haufen Soldaten steht in der Nähe. Ich erfahre, dass zwei Russen ihr Grab dort schaufeln mussten und nun erschossen worden sind. Einer von ihnen hat nach der Gefangennahme noch geschossen und einer hat Dumdum-Geschosse verwendet. Einer lebte noch lange, auch als schon eine dicke Lage Erde auf ihm lag, schnaufte er noch, dass sich die Erde hob, und arbeitete den Arm nochmal in die Höhe… Nun graben vier Russen ein neues Loch, für wen? Der Verwundete, dem ich am Vormittag Tee zum Trinken gab, wird hergeführt, legt sich in die Grube, wird von einem Unteroffizier erschossen. Zwei Gefangene schaufeln sofort und eifrig zu. Der Russe war ein Kommissar. Meinungsverschiedenheiten über Erschießungen brechen hervor. Dabei wird erzählt, die Kradschützen hätten die Einwohnerschaft eines ganzen Dorfes samt Frauen und Kindern erschossen und ins selbstgegrabene Massengrab geworfen, weil die Einwohnerschaft hinterhältig war und den Kradschützen viele Verluste brachte …“
Für den 29.06.1941 dokumentiert Robert Rupp die folgenden Szenen vom Vormarsch nach Minsk (aus: Dollinger, S. 83 f.):
„Wygora. Im Morgengrauen ist ein russischer Panzer vorübergefahren (von vorne kommend). Er hat gewinkt, einige sagen, er hätte eine weiße Fahne gehabt. Ein Panzer verfolgt ihn und schießt ihn an der Waldecke hinter uns in Brand. Wir werden von Artillerie beschossen, ziemlich nahe, aber zu kurz. Die Fahrzeuge werden in eine Waldschneise über der Straße gezogen. Immer noch Artilleriefeuer. Wir verteilen uns im Wald… Ein neuer Weg nach Minsk soll gesucht werden, wird gesagt. Die Kompanie liegt bis etwa 13.30 Uhr in einem Wald… Panzer klären voraus auf. Fahrt über Äcker usw. Wir fahren durch die Ortschaft in rascher Fahrt (sie ist von Russen besetzt) und nehmen rasch die Höhen. Die Höhen sind besetzt, aber sofort erhalten wir Artilleriefeuer. Der erste Einschlag trifft Unteroffizier Friedrich Schmidt mit ausgebreiteten Armen. Auf der Höhe graben wir uns ein. Ständig Artillerie und Granatwerferfeuer… Hinter dem Dorf, das gesäubert wird (die Russen sitzen unter den Häusern im Sockel), hebt man einen Artilleriebeobachter aus. Er wird mit etwa fünfzehn Mann erschossen!! Daraufhin schweigt das Artilleriefeuer…
Ein Pakgeschütz ist erkannt worden und wird unter Feuer genommen. Pferde rennen aus dem Gebüsch (das Pakgespann) mit dem Fahrer, laufen im Feld im Kreis. Rechts vom Pakgeschütz wird nun ein Bunker erkannt. Jetzt kommt Leben heraus drüben. Ganze Scharen flüchten nach rückwärts. Der Sandhügel ist eine Beobachtungsstelle unserer Artillerie. Die fliehenden Russen werden mit Artillerie und Maschinengewehr beschossen. Furchtbare Wirkung kann beobachtet werden. Einmal läuft nur noch einer weiter, aufrecht zwischen den Einschlägen. Die Russen flüchten ins Dorf, und eine ganze Batterie, bespannt, sucht nach rechts zu fliehen. Sie kommen zum Teil durch.
Jetzt beobachten wir eine feindliche Wagenkolonne (Autos), die von links vorfahren. Sollen wir umkreist werden? Die Wagen werden von Artillerie bekämpft. Unsere Waffen reichen nicht so weit. Wir werden etwas kleinlaut, wir wissen, dass wir umzingelt werden könnten. Plötzlich aber kommen aus der Ortschaft sehr viele deutsche Panzer. Gleichzeitig mit ihnen treten wir an, überschreiten die Brücke im Tal und gehen gegen die jenseitigen Höhen vor. Wir erhalten starkes Feuer von überall her. Aber nicht gezielt… Die Russen haben Stellungen, in denen gerade ein Mann stehen kann. Unsere Waffen feuern, dass ein nie gehörter Lärm entsteht. Bald brennen Ortschaften links und rechts der Straße. Einige Russen ergeben sich. Der zweite Zug »macht keine Gefangene«. Ein Gefangener, der etwas Rotes in der Hand hält, rennt mit erhobenen Händen angstvoll durch den Lärm, wird bald dahin, bald dorthin geschickt. »Schießt ihn nieder!« schreit einer von uns, rennt ihm nach und stellt ihm den Fuß, dass der Gefangene hinklatscht. Er steht gleich wieder auf und wird zu einem Haufen anderer Gefangener geführt.
Ein Schaf mit zerschossenem Bein liegt da. Leixner gibt ihm den Gnadenschuss. Ein alter Mann sitzt an einem Kellerloch. Kühe stehen ratlos im Lärm. Ein Kalb mit zerschossenem Hinterleib sitzt da. Halbzug geht in vorderster Linie, Pistolenschüsse von überall her… Wir gehen in Stellung und streuen den Wald ab. Hinter uns schießt ein Pakgeschütz oder ein Panzer. Die Gegner im Wald schweigen, die Spitzen können wieder nachrücken. Dann bald allgemeines Halt. Wir trinken im Graben den letzten Tee. In den brennenden Ortschaften beobachte ich noch Zivilisten. Wir sollen gegen den Wald die Nacht über sichern. Dann heißt es, wir müssen weiter zurück. Und schließlich wird gesagt, wir seien zu weit vorgestoßen, nahe bis Minsk und hätten uns so fast selbst eingeschlossen, wir müssten zurück in die Gegend, in der wir die letzte Nacht waren. Also alles umsonst! Ein Verwundeter wird neben uns im Graben verbunden. Ein Panzerfahrer ruft nach dem Sanitäter. Er hat einen Kopfschuss, dass das Hirn herausschaut.
Rückzug. Die Gefangenen werden als Träger eingeteilt, sechs beim Halbzug. Einer ist Student und ich unterhalte mich etwas mit ihm. Ich gehe hinter den Gefangenen, dass ihnen nicht zuviel aufgehängt wird. Einige Soldaten bleiben zurück, können nicht mehr. Ich nehme einem die Kästen ab. Wieder wird aus den Feldern geschossen. In der Ortschaft, von der der Sturm ausging, stehen noch die Fahrzeuge. Wir kommen lange nicht weg, weil sich alles verstopft hat und weil die Straßen von den Panzern zerstört sind. Ein Panzer mit Besatzung ist hinten hängen geblieben. Ein Auto fährt zurück, um die zurückgebliebenen Leute zu holen. Der Panzer ist nachgekommen. Die Rückfahrt dauert bis zum Morgen. Ich bin auf dem Auto. Ein Gefangener hat Durchfall und muss öfter absteigen. Der Student schläft an meiner Seite ein. Ich schlafe auch etwas. Hinter uns ist dauernd Geknatter. Da ist noch eine Batterie hinten, wird gesagt, die sich mit direktem Beschuss befreien muss…“
Am 01.07.1941 trägt er Folgendes in sein Tagebuch ein (aus: Dollinger, S. 86):
„Man erzählt, ein Befehl des Führers sei herausgekommen, dass Gefangene und solche, die sich ergeben, nicht mehr erschossen werden dürfen. Das freut mich. Endlich! Viele Erschossene, die ich liegen sah, lagen mit erhobenen Händen da und ohne Waffen und sogar ohne Koppel. Mindestens hundert sah ich so liegen. Man erzählt, dass sogar ein Parlamentär, der mit weißer Fahne kam, niedergeknallt wurde! Nachmittags wird gesagt, dass ganze Kompanien der Russen geschlossen sich ergeben. Die Methode war schon schlimm. Man hat auch Verwundete erschossen…“
Für den 02.07.1941 notiert er die folgenden Erlebnisse (aus: Dollinger, S. 86 f.):
„Gefangene werden eingebracht, einzeln. Ich soll einen ausfragen. Der Russe will etwas erklären, was ich nicht verstehe. Wir lassen den Artilleriemajor holen… Die Gefangenen werden wieder hinübergeschickt und sollen einen Parlamentär holen. Nur ein Teil kommt zurück. Auch einige Verwundete kommen. Einer hat einen Armschuss und friert sehr. Ich sorge dafür, dass er etwas zum Zudecken bekommt und gebe ihm Tee. Die Gefangenen sagen, dass niemand mehr im Wald sei. Alles sei geflohen. Nun kommt der Kommandeur zurück mit allen Kompaniechefs. Die 2. Kompanie soll den Wald durchstreifen, die dritte an der Straße entlang absuchen.
Wir hören aus dem Wald fürchterliche Hilferufe. Grenzenlose Verlassenheit klagt aus den Rufen. Der Wald ist schrecklich zugerichtet. Beim Rückweg gehen wir tiefer in den Wald, um die Rufenden zu suchen. Mannstiefe Löcher haben sich die Russen gegraben. An einem Baum vor einem Loch liegt einer mit geschientem Bein und schläft. Er wacht auf und freut sich, Menschen zu sehen. Ein imponierender Typ. Der Beinschuss ist verbunden. Er bittet um ärztliche Hilfe. Ich sage, dass ich sorgen wolle. Er hat ein neues Fernglas, das ich ihm abbitte, er lässt es mir gern. Noch ein Kamerad sei da, sagt er. Ich finde ihn im Loch unten, auch im Erschöpfungsschlaf. Beide Oberschenkel sind verbunden. Das Blut dringt durch. Ganz pappig sind die Verbandslappen. Von Stechfliegen werden die beiden furchtbar geplagt. Sie können einander rufen, ohne sich zu sehen. Wir geben ihnen eine Zigarette, um die sie baten. Sie bedanken sich übermäßig. Ich stelle mir das furchtbare Ende vor. Wenigstens haben sie die Hoffnung noch auf Hilfe. Ich glaube ja leider nicht daran. Weiter unten sehen wir einen auf allen Vieren durch den Wald kriechen. Sein ganzer Hintern ist blutig. Auch er bittet unaufhörlich um Hilfe. Tote mit verspritztem Hirn. Andere schlagen nur noch matt die Augen auf. Ein fürchterliches Elend in diesem kleinen Wald. Die Russen hätten doch ihre Verwundeten mitnehmen können. Aber die sind furchtbar kalt… Zum Erschrecken wenig gilt in Russland ein Menschenleben, auch das eigene.
Ein Gefangener fragte einmal ohne viel Schrecken, wo er nun hingeschossen würde, in die Stirn oder in die Schläfe. – Wie wir wieder aus dem Wald kommen, ist schon Aufbruch. Die Gräber der Kameraden sind links und rechts der Straße. Ich frage wohl nach Sanitätern, aber es ist umsonst. Wir fahren weiter in Richtung Minsk.“
Zwischen Orscha und Smolensk notiert Robert Rupp am 19.07.1941 folgendes in sein Tagebuch (aus: Dollinger, S. 89):
„Wir haben uns Löcher gegraben. Ich lese im Loch in der »Hochzeit zu Kanaan«. Dann werde ich müde und schlafe im Loch sitzend ein. Plötzlich eine wilde Schießerei, Kanonen- und MG- Feuer. Motorengeräusch. Zwei Feindflieger sind im Tiefflug über uns weg. Abwehr stand nicht bereit. Ich höre bei einem Wagen Nachrichten. Von anderen Fronten kann wenig gemeldet werden. Seit Mittwoch (jetzt ist Samstag) ist Smolensk in deutscher Hand, wird gesagt. Wir kommen nicht nach Smolensk, wir sollen fünf Kilometer südlich daran vorbeistoßen…“
Am 31.08.1941 schreibt er seiner Ehefrau Maria vom Mittelabschnitt der Ostfront einen Brief folgenden Inhalts (aus: Dollinger, S. 95):
„In der frischen Frühe schreibe ich Dir. Siehst Du, es gehören uns noch – und immer – die Tage und Sonntage. Ich sehe Dich heut so sonntäglich in einem schönen Kleid. Vielleicht ist in Wolkertshofen Kirche und Du singst und zitterst nicht mit der Stimme… Nach diesem Sonntag soll ja unser Sonnenmonat kommen nach Wunsch und Glauben. Z. Zt. wird mit derartigem Materialeinsatz gearbeitet, dass ich neu und fest an den September glaube. Mit einer gewissen Hast wird der Krieg vorwärts getrieben, so dass ich manchen Tag nicht zum Schreiben komme… Ich weiß um Dich und Dein treues und tapferes Mitleben. Du und Raini, Ihr seid meine ganze und einzige Seligkeit in dieser Welt des Teufels. Wir sind reich beschenkt von Gott, werden wir also nicht bitter, nicht gegen das Schicksal, das uns ja letztlich er auferlegt, und nicht gegen die Menschen, die für all dies die Verantwortung haben und doch nicht tragen. Beten wir um ein baldiges Ende zum Glück aller und um Heilung der Wunden im getragenen Leid …“
Weiter im Norden der Ostfront notiert er am 20.09.1941 in seinem Tagebuch (aus: Dollinger, S. 97):
„Einen Monat höchstens noch, nach der neuen Verheißung, sind wir in Russland. Der Chef sagt, er wisse von oben her, dass bis zum 20. Oktober die Aufgaben der motorisierten Truppen erfüllt sein müssen: Leningrad, Moskau, Kiew, Charkow. Ich habe immer mit September gerechnet…“
Nachdem infolge der einsetzenden Schlammperiode die Versorgung der deutschen Truppen an der Ostfront zunehmend problematisch wird, notiert Robert Rupp am 22.10.1941 in seinem Tagebuch (aus: Dollinger, S. 103 f.):
„Zu essen gibt es am Abend und in der Frühe nur je ein Stückchen Brot. In der Frühe arbeiten wir den Wagen aus dem Dreck und bauen mit Balken einen Übergang. Ich besorge Pferde im Dorf. Dabei treffe ich Jakob. Er wartet mir mit Brot und Kaffee auf. Ich kann bei ihm einen Brief an Maria aufgeben. Unsere Post ist schon lange nicht mehr weggegangen. In Karatschew betteln wir uns Benzin. Etwa 30 Kilometer über Karatschew hinaus finden wir die Kompanie. Die Fahrzeuge können nicht ins Dorf hinunterfahren. Das Dorf ist furchtbar zugerichtet…“
Anfang November 1941 notiert er folgende Erlebnisse (aus: Dollinger, S. 107 f.):
„Eine große Hungersnot beginnt in der Stadt Orel, die früher 170000 Einwohner hatte. Eine Frau, die neben unserem Halbzug- Raum wohnt, ladet Kumpfmüller und mich ein, dort zu schlafen. Sie schläft außerhalb. Jetzt hat jeder selbst ein Bett, auch ist der Raum größer und heller. Ich besuche noch öfter die Familie unten, die uns ungern ausziehen lässt. Die Mutter der Frau im unteren alten Quartier kommt und erzählt, dass bei ihr drei Soldaten einquartiert waren, die ihre 17jährige Tochter vergewaltigt haben. Die Mutter haben sie mit einem Prügel aus dem Haus getrieben und die Tochter mit der Pistole gezwungen, ihnen zu Willen zu sein. Die Frau ist zur Kommandantur gelaufen, hat auch gleich Hilfe gefunden, aber das Quartier war indessen geräumt, die Soldaten waren fort. Die Leute erzählten von ihrer Angst, als deutsche Soldaten abends in die Stube kommen, herumleuchten und alles mögliche mitnehmen. Sie loben sehr die Korrektheit unseres Halbzuges.
Geschendtner, Bruckner und Gerstmeier kommen aus dem Lazarett zurück… Die Rückkehrer staunen, mich lebendig zu finden, weil in der Heimat wieder erzählt worden ist, ich sei gefallen… Sie erzählen auch, wie es weiter zurück zugeht, sie erzählen von Unmengen Gefangener, die auf engem Raum zusammengepfercht waren und furchtbar hungern mussten. Ein Feldwebel hat mit einem Prügel ein Mädchen unmenschlich geschlagen, als es Tomaten durch den Zaun reichte. Geschendtner erzählt, dass die Soldaten, die zur Gefangenenbewachung eingeteilt sind, den verwundeten Soldaten Munition abbetteln und dass sie den ganzen Tag damit herumknallen. Wohl sind auch viele Schreckschüsse dabei, aber Geschendtner sah u. a., wie ein Russe, der zum Viehwagen einen Becher herauslangen wollte, mit der Bitte um Wasser, einfach ins Gesicht geschossen wurde, dass er rückwärts in den Wagen fiel. In einem offenen Wagen bei grimmiger Kälte wurden gefangene »Flintenweiber« befördert, das heißt tagelang auf dem Bahnhof herumstehen lassen. Eines der Mädchen, eine Krankenschwester, unterhält sich mit einem Feldwebel und bat ihn, sie zu erschießen. Sie bot ihm 100 Rubel dafür!…
An Bäumen an der Hauptstraße sind zwei Zivilisten erhängt. Sie tragen ein Schild: Gehängt wegen Brandlegung. Bald hängt noch ein anderer daran: Gehängt, weil er als Partisan gegen die deutsche Wehrmacht arbeitete… Wir kommen spät abends nach Mzensk. Ich fühle mich sehr einsam…“
Am 20.11.1941 trägt Robert Rupp während der beginnenden Abwehrkämpfe um Kalinin Folgendes in sein Tagebuch ein (aus: Dollinger, S. 110):
„Gleich beim Antreten kommen wir auf eine Höhe, auf der unsere Panzer schon zuvor gekurvt haben. Tote liegen herum und Verwundete, die jämmerlich erfrieren müssen! Einer hebt noch das Bein. Einer richtet sich noch etwas auf und lallt klagend. Ich schenke Pferde und Wagen her.“
Am 22.11.1941 schreibt er an seine Frau (aus: Dollinger, S. 110):
„…Sehr selten hab ich geweint. Weinen ist ein Ausweg, solange man in den Dingen steht. Erst wenn ich wieder bei Euch bin, im Ausruhen und Überwinden, werden wir sehr viel weinen müssen und Du verstehst dann auch darin Deinen Mann. Hier hat auch vor den traurigsten Bildern das Weinen keinen Sinn, und das »Mitleid« ist gemein, wenn es an die Stelle von Hilfe und Tat tritt. Es wächst das Gefühl der menschlichen Armut und der menschheitlichen Schuld, die in jedem Einzelnen wurzelt. Eine tiefe Scham wächst. Manchmal schäme ich mich sogar, geliebt zu werden. Du verstehst das schon recht, gelt, Maria. Es gibt so wirklich Arme, dass man sich des Reichtums schämen muss. Und dann gibt es noch die Ur-Scham. Du kennst sie, weil Du mitlebst. Man kann sie nicht näher bezeichnen. O, Dinge geschehen in der Welt!“
Robert Rupp, geb. am 07.06.1909 in Eichstätt, fiel als Angehöriger der 3./Infanterieregiment 63 am 04.12.1941 in Borissow/Russland.
(Titelfoto: Gräber unbekannter deutscher Soldaten und unbekannter Russen
Seite an Seite am Rand des Soldatenfriedhofs Ittenbach bei Königswinter,
August 2025)
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